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der Erkenntnis anerkannt, aber sie ist auch nicht mehr als ein solcher Anfangspunkt. Ihr Bestand ist noch flüchtiger und wandelbarer als der der sinnlichen Vorstellung; die Lautgestalt des Wortes oder des aus ὀνοματα und ῥήματα sich aufbauenden sprachlichen Satzes faßt den eigentlichen Gehalt der Idee noch weniger, als es das sinnliche Modell oder Abbild tut. Und doch bleibt andererseits ein bestimmter Zusammenhang zwischen Wort und Idee gewahrt: wie von den sinnlichen Inhalten gesagt wird, daß sie nach den Ideen „streben“, so ist ein solcher Hinweis und gleichsam eine geistige Tendenz auf sie auch in den Gebilden der Sprache anzuerkennen. Zu dieser relativen Anerkennung war Platons System vor allem deshalb bereit und fähig, weil in ihm ein Grundmoment, das aller Sprache wesentlich ist, zum erstenmal in seiner prinzipiellen Bestimmtheit und in seiner ganzen Bedeutsamkeit erkannt war. Alle Sprache ist als solche „Repräsentation“; ist Darstellung einer bestimmten „Bedeutung“ durch ein sinnliches „Zeichen“. Solange die philosophische Betrachtung im Kreise des bloßen Daseins verharrt, vermag sie für dieses eigenartige Verhältnis im Grunde keine Analogie und keinen zutreffenden Ausdruck zu finden. Denn in den Dingen selbst, sei es, daß man sie nach ihrem Bestande als Inbegriffe von „Elementen“ betrachtet, sei es, daß man die Wirkungszusammenhänge zwischen ihnen verfolgt, findet sich nichts, was der Beziehung des „Wortes“ auf den „Sinn“, dem Verhältnis des „Zeichens“ zu der in ihm gemeinten „Bedeutung“ entspricht. Für Platon erst, für den sich die charakteristische Umkehr der Fragestellung vollzogen hat, die er im Phädon beschreibt, – für den es feststeht, daß der Weg des philosophischen Denkens nicht von den πράγματα zu den λόγοι, sondern von den λόγοι zu den πράγματα geht, da nur in der Wahrheit der Begriffe die Wirklichkeit der Dinge erfaßt und erschaut werden könne[1] – für ihn erst gewinnt der Begriff der Repräsentation eine wahrhaft zentrale systematische Bedeutung. Denn er ist es, in den sich das Grundproblem der Ideenlehre zuletzt zusammenfaßt, durch den sich das Verhältnis von „Idee“ und „Erscheinung“ ausdrückt. Die „Dinge“ der gemeinen Weltansicht, die sinnlich konkreten Erfahrungsgegenstände – sie werden, vom Standpunkt des Idealismus aus gesehen, selbst zu „Bildern“, deren Wahrheitsgehalt nicht in dem liegt, was sie unmittelbar sind, sondern in dem, was sie mittelbar ausdrücken. Und dieser Begriff des Bildes, des εἴδωλον schafft nun eine neue geistige Vermittlung zwischen Sprachform und Erkenntnisform. Um das Verhältnis zwischen beiden klar und scharf zu bezeichnen, um die


  1. [1] Vgl. Phädon 99 D ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/80&oldid=- (Version vom 14.9.2022)