Der Bürgermeister erhob das rothe behagliche Gesicht aus seinen Acten, warf einen flüchtigen Blick auf den Eintretenden und sagte, als er die feinere Kleidung desselben bemerkt hatte, mit einer runden Handbewegung: „Wollen Sie gefälligst Platz nehmen; ich werde gleich zu Ihren Diensten sein.“ Dann steckte er den Kopf wieder in die Acten.
Der Andere aber war einen Schritt näher getreten. „Bist du jetzt immer so fleißig, Fritz?“ sagte er. „Du littest ehemals nicht an dieser Krankheit.“
Der Bürgermeister fuhr empor, hakte die Brille von der Nase und starrte den Sprecher aus seinen kleinen gutmüthigen Augen an. „Richard, du bist es!“ rief er. „Mein Gott, wie gut du mich noch kennst! Und doch, mein Scheitel ist kahl und der Rest des Haares grau geworden! Ja, ja, ein solches Bürgermeisteramt!“
Die kleine, beleibte Gestalt war hinter dem Actentisch hervorgekommen. Voll Erstaunen blickte er in das Antlitz des ihn fast um Kopfeshöhe überragenden Freundes: „Das,“ sagte er und tätschelte mit seiner kurzen Hand über das noch glänzende braune Haar
Theodor Storm: Waldwinkel. Braunschweig: Geoge Westermann, 1875, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pole_Poppensp%C3%A4ler.djvu/08&oldid=- (Version vom 1.8.2018)