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M. Abraham (Göttingen), Prinzipien der Dynamik des Elektrons.

Bereits im Januar dieses Jahres habe ich in den Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften eine Abhandlung über die Dynamik des Elektrons veröffentlicht. Die Übereinstimmung der dort entwickelten Theorie mit den experimentellen Resultaten des Herrn Kaufmann lässt die Annahmen, auf denen die Theorie beruht, als zweckmässig gewählt erscheinen; sie zeigt ferner, dass die Trägheit des Eklektrons rein elektromagnetischer Natur ist. Während ich dort zunächst noch eine von der elektrischen Ladung unabhängige „materielle“ Masse in den Bewegungsgleichungen mitführte, wird es jetzt notwendig, die Dynamik des Elektrons von vornherein elektromagnetisch zu begründen. Dabei ergeben sich bemerkenswerte Analogien der Prinzipien der Dynamik des Elektrons einerseits, der Prinzipien der gewöhnlichen Dynamik materieller Körper andererseits, Analogien, die für die künftige elektromagnetische Begründung der gesamten Mechanik von Bedeutung werden dürften.

Wir schreiben dem Elektron, dem Atome der negativen Elektrizität, eine Ladung e (elektrostatisch gemessen) zu. Das in den Kathoden- und Becquerelstrahlen bewegte freie Elektron sei – das nehmen wir an – eine Kugel vom Radius a, über deren Volumen die Elektrizität gleichförmig, mit der Dichte , verteilt ist. Die Elektrizität soll an den Volumelementen des Elektrons haften, wie die Materie an den Volumelementen eines starren Körpers, d. h. es soll für das Elektron die kinematische Grundgleichung gelten.

1) .

Die kinematische Grundgleichung bestimmt die Geschwindigkeit eines beliebigen Punktes des Elektrons, dessen Abstand vom Mittelpunkt durch den Vektor angezeigt ist, wenn die Geschwindigkeit des Mittelpunktes und die Drehgeschwindigkeit um den Mittelpunkt gegeben sind; wir schreiben sie in vektorieller Form, wobei wir das Grassmannsche Symbol des äusseren Produktes gebrauchen.

Das elektromagnetische Feld, das von dem Elektron erregt wird, ist bestimmt durch die Maxwell-Lorentzschen Feldgleichungen:

2)

, bezeichnen dabei elektrische und magnetische Feldstärke, c die Lichtgeschwindigkeit.

Es ist hervorzuheben, dass die Lorentzsche Theorie mit absoluten Geschwindigkeiten rechnet.

Das Elektron befinde sich nun in einem gegebenen äusseren elektromagnetischen Felde, von den Feldstärken , . Zur Bestimmung der Bewegungen, die es ausführt, ist noch ein drittes System von Grundgleichungen erforderlich, das System der „kinetischen“ oder „dynamischen“ Grundgleichungen. Bei der Aufstellung derselben lassen wir uns durch folgende Überlegung leiten. H. A. Lorentz und E. Wiechert haben gezeigt, dass man die Kräfte, welche auf ruhende und auf strömende Elektrizität im elektrischen bezw. im magnetischen Felde wirken, aus der Elektronentheorie ableiten kann, wenn man für die auf das einzelne Elektron wirkende Kraft den Ansatz macht:

.

Dabei wird das Elektron als Punktladung aufgefasst. Wir müssen die Volumelemente des Elektrons unterscheiden; demgemäss definieren wir die „äussere Kraft“ durch

und führen ferner eine „äussere Drehkraft

ein. Nach Maxwell und Hertz gilt nun aber das „Prinzip der Einheit der elektrischen und magnetischen Kraft“; diesem Prinzip zufolge ist die Unterscheidung eines „äusseren“ und eines vom Elektron selbst erregten „inneren“ Feldes eine künstliche; in Wahrheit giebt es nur ein Feld, von den Feldstärken

.

Dieses Prinzip führt uns dazu, dem Vektor

den Vektor

an die Seite zu stellen, und von einer „inneren Kraft

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Max Abraham: Prinzipien der Dynamik des Elektrons. S. Hirzel, 1902, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prinzipien_der_Dynamik_des_Elektrons.djvu/1&oldid=- (Version vom 1.8.2018)