Seite:Proehle Kinder- und Volksmaerchen 006.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Als sie nun hinkommt, sagt der Königssohn, für einen Kuß könne sie die Glocke von Glockengut bekommen, anders aber nicht. Anfangs macht die Prinzessin Einwendungen. Aber so sind die Frauen! kurz und gut, die Prinzessin sagt endlich ja. Sie besinnt sich freilich doch bis auf den Abend in der Dämmerung noch eines Andern, weil sie die Glocke nun einmal hat, und schickt dem Prinzen von Engeland ihre Kammerzofe. Wiewol es in der Dämmerung ist, erkennt der Prinz von Engeland doch, daß das nicht die Prinzessin von Portugal ist, läßt die Kammerzofe stehen und küßt sie nicht.

Den andern Tag aber läutet er mit der silbernen Glocke. Sagt die Königstochter zu ihrem Vater, er möchte ihr doch die silberne Glocke auch noch kaufen, das ginge gar zu schön. Allein der Vater will nichts von dem Kaufe wissen. Sie läßt aber nicht nach, geht wieder zu dem Prinzen, den sie nicht kennt, und sagt, ob er denn die silberne Glocke nicht verkaufe. Ei, sagt der, für einen Kuß von der Prinzessin von Portugal wäre sie ihm schon feil, anders aber nicht. Also erhält die Prinzessin die Glocke, nimmt die Schätze, die ihr der König endlich doch noch gegeben hat, um die Glocke zu kaufen, wieder mit sich, und verspricht den Abend in der Dämmerung wiederzukommen, um ihn zu küssen. Schickt aber wieder eine Kammerzofe und die läßt der Prinz wieder stehen und kümmert sich nicht um sie.

Nun hat der Prinz von Engeland nur noch die goldene Glocke und muß jetzt Alles auf Eine Karte setzen. Nimmt sich also vor, sich den Kuß von der Prinzessin vorher geben zu lassen, ehe sie die goldene Glocke erhielte, damit sie ihn nicht wieder um das Mäulchen betrügen könne. Wie er beginnt die goldene Glocke zu läuten, wird der Prinzessin von Portugal so ums Herz, sie weiß nicht wie. Sie hatte von ihren Kammerzofen gehört, daß der Prinz sie habe stehen

Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_006.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)