Kinder- und Volksmärchen
von
Heinrich Pröhle.
Avenarius und Mendelssohn.
1853.
[V]
praktischem Arzt in Bremen,
gewidmet.
[VII]
Nicht ohne Freude und nicht ohne Wehmuth übergebe ich diese Sammlung der Oeffentlichkeit. Denn abgesehen von Karl Müllenhof's Sammlung der Ueberlieferungen aus Schleswig-Holstein und Lauenburg, welche nicht weniger als achtunddreißig norddeutsche Märchen brachte, aber sie schwerlich in der Zusammenstellung mit Sagen und Liedern dem eigentlichen Märchenpublicum zuführen konnte, sowie von den Anhängen zweier oder dreier andern Sagenbücher, und abgesehen von der zuerst von Hessen ausgegangenen Grimm'schen Sammlung ist dies das erste norddeutsche Märchenbuch. Wie werdet ihr nun bestehen, norddeutsches Gemüth und norddeutscher Märchenscherz, vor dem gesammten deutschen Volke? Wird man Runzeln finden auf eurer Stirn, oder werdet ihr mit den Kindern sein wie die Kinder? Wie schön, o wie schön, wenn ihr helfen könntet im Sinne der Alten, welche den Kindern Geschichten erzählten, um ihnen Grauen einzuflößen vor dem Bösen und sie das Gute lieben zu lehren! Wie schön, o wie schön, wenn ihr spielend sie lehren könntet ihr Vaterland zu lieben, seine [VIII] Grenzen heilig zu halten, ihr Volk zu achten, nie zu vergessen die Heldenthat der Väter, aber nicht mitzufeiern, wenn vorwitziger vornehmer Pöbel mit grauen Haaren dem todten Unterdrücker Feste feiert. Ja, könntet ihr von alle dem auch nur ein ganz klein, klein wenig dazu beitragen, so würde ich jede Stunde segnen, da ich in tiefen Thalkesseln und auf Hochebenen zuerst euch lauschte. - - -
Diese Märchen sind von mir meist auf dem Oberharze im Volke gesammelt. Bei denjenigen Märchen, die ich nicht vom Oberharze, sondern aus benachbarten niedersächsischen Orten habe, sollen diese Orte genau angegeben werden. Einiges, was später gleichfalls in diesem Vorworte noch genauer bezeichnet werden soll, verdanke ich der Güte meines sehr verehrten Freundes Gustav Freytag, des Dichters der „Valentine“ und des „Graf Waldemar“, der diese Märchen in den deutschen Dörfern um Kreuzburg in Schlesien sich aufzeichnete. Drei andere Märchen endlich sind überhaupt nicht im Volke gesammelt, sondern vom Herausgeber zu Nutz und Frommen der lieben Kinderwelt ersonnen. Wenn er sie eben als vorzugsweise für Kinder geeignete Märchen in dieser Sammlung nicht auslassen wollte, so haben sie doch, damit sie den etwaigen mythologischen Werth derselben nicht verringern, nur in einem Anhange ihren Platz finden können.
Unter den im Volke gesammelten Märchen hat er eine Scheidung und Rubricirung danach, daß sich das eine mehr und das andere auf den ersten Blick weniger für Kinder eignet, ebenso wenig vornehmen wollen, als dies in den bisherigen Sammlungen von Volksmärchen [IX] geschehen ist. Was überhaupt das Anstößige in manchen Märchen für die Kinderwelt betrifft, so kann diese wie jede andere Märchensammlung sich in dieser Beziehung nur die stolz abwehrenden Worte und Erklärungen Wilhelm Grimm's in der Vorrede zu einer der Ausgaben der „Kinder- und Hausmärchen“ als Schild vorhalten[1]. Sollte aber Jemand die Abweisung aller dieser Bedenken als allzu kühn erscheinen, wenigstens in Bezug auf die Verhältnisse der höher und feiner gebildeten Stände, so brauchten wir doch wol nur daran zu erinnern, auf welche Weise die Märchenbücher dort benutzt werden. Nirgends liest man sie wie einen Roman, sondern es wird heute dieses und morgen jenes Märchen aufgeschlagen und in Familienkreisen vorgelesen, entweder von den Kindern oder von den Aeltern selbst. Manche liebenswürdige junge Dame verschmäht es auch wol nicht, den kleinsten Kindern täglich ein Märchen, welches sie sich vorher aus dem Märchenbuche einstudirt, aus dem Gedächtniß vorzutragen. [X] Was die Behandlung der Märchen von meiner Seite betrifft, so habe ich zunächst viele davon Erzählern jedes Alters und Geschlechts auf meiner Studirstube möglichst wörtlich, jedoch sämmtlich in hochdeutscher Sprache nachgeschrieben. Nachher sodann sind sie von mir wiederholt überarbeitet worden. Wo die Tradition selbst bis auf die Worte hin mit jener gewiß allen Sammlern wohlbekannten Treue und Sicherheit auftrat, von der wir wünschten, daß sie wenigstens einmal im Leben mit ihrem feierlich rauschenden Flügelschlag in das Ohr eines jeden braven und schlichten Deutschen fiele, der ein Herz hat für sein Volk und dessen Vergangenheit - da ist an den Worten wenig oder nichts geändert. Wo aber die Tradition in weniger straffer Form auftrat, was sich beim mündlichen Vortrage sehr bald zeigt, ist am meisten nachgebessert worden. Eben Das, was in solchen Fällen fehlte, ließ sich freilich durch nichts ersetzen. Der Ton, den zunächst die Brüder Grimm in solchen Fällen anschlagen, scheint mir unnachahmlich, schon weil er bei aller Einfachheit doch auf einer vollkommenen Herrschaft über alle Sprachmittel beruht. Die nationale Bedeutung ihrer Sammlung rühme ich schon in dem von mir herausgegebenen „Hausbüchlein für das Volk und seine Freunde“ (Leipzig, 1852), Bd. I, S. 28, aber je öfter ich in ihr lese, um so mehr wächst meine Freude daran. Durch die Sorgfalt, welche Wilhelm Grimm der Sammlung zugewandt hat, ist im Verlaufe ihrer zahlreichen Auflagen kaum noch eine Zeile bedeutungslos geblieben, und sie enthält einen Reichthum an Beobachtungen aus dem Kleinleben in Haus und Hof und in der Natur, den man bei unsern Erzählern von Fach meist vergebens suchen würde. - Eine Art von historischem Romanstil, die in Ludwig Bechstein's [XI] „Märchenbuch“ (9. Aufl., 1850) vorherrscht, schien mir in keiner Weise mehr passend (vergl. darüber nun auch Meier's „Märchen aus Schwaben“, 1852, S. V). Und so mußte ich in solchen Fällen nach der Kenntniß des norddeutschen Volkscharakters, die ich mir schon lange bevor diese Sammlung angelegt wurde, zu erwerben strebte, meinen eigenen Ton anzuschlagen versuchen.
Die meiste eigene Thätigkeit glaubte ich bei denjenigen Märchen anwenden zu können, welche keine eigentlich mythischen Züge enthalten. Bei einem Paar dieser Märchen habe ich sogar der Lockung, das Einzelne mehr auszumalen (nicht auszuschmücken), nicht widerstanden. Es sind die Märchen: Der gelehrige Dieb; Die Kaufmannsfrau als Oberst, und die erste Abtheilung von: Die hochmüthigen Mädchen, oder streng genommen nur die beiden zuerst bezeichneten.
Solche Märchen, die keine eigentlich mythischen Züge enthalten, finden sich in dem Grimm'schen Märchenbuche zahlreich. Sie auszuschließen, war auch in unserer Sammlung durchaus kein Grund. Die bezeichneten Märchenstoffe gehen, mit moralischen und satirischen Zusätzen ausgestattet, fortwährend aus dem Volksmunde in die populäre Literatur über; sie bilden den eigentlichen Kern der „Münchhausen'schen Lügen“, worin indessen auch mythische Züge satirisch behandelt werden, und des Hebel'schen „Schatzkästlein“, sie werden außerdem wöchentlich in unsern Blättern verwässert und mit einem eben nicht appetitlichen Senf vorgesetzt. Es wird daher ganz gut sein, Stoffe dieser Art, wo sie sich darbieten, von Zeit zu Zeit in Märchenbüchern in reinerer Form vorzuführen, wenn auch freilich ein Maßhalten bei ihrer Mittheilung nothwendig ist. Folgendes aber macht, abgesehen von [XII] dem Interesse, welches sie haben, ihre Ausschließung in Märchensammlungen unmöglich. Viele der bezeichneten Märchen sind nur abgeschwächte ältere Märchenstoffe, aus welchen im Laufe der Zeit der Wunderglaube entwichen ist, die aber darum doch noch manchen mythologischen Aufschluß geben können. Das Wünschhütchen, das ein Bauer für eine namhafte Summe verkauft, und das nachher die Wünsche seiner Besitzer nicht erfüllt, wird doch immer mit ein paar Worten so beschrieben, als ob es soeben von Wuotan's Haupte käme. In den Räubermärchen, welche übrigens bei uns auch Wunder enthalten (s. Nr. 48), findet sich eine Tonne mit Menschenfleisch, die fast in jeder Räuberhöhle steht, und deren Ursprung man durch andere Märchen und Sagen mit leichter Mühe zunächst bis in die Zwerghöhlen verfolgen kann, wo sie mit Honig gefüllt ist. Auf dem Gebiete der Sage bergen solche zunächst nicht eigentlich mythischen Traditionen fast stets die Erinnerung an irgend einen Aberglauben oder einen alten Brauch, und wenn z.B. erzählt wird, daß man bei Nacht einem Schneider ein Kohlenbecken vor die Thür gesetzt und daß er einen neuen Bräutigamsanzug in die Flamme geworfen habe in der Meinung, daß ein Schatz vor seine Thür „gerückt“ sei, so liefert das für den Aberglauben noch genau dieselbe Ausbeute wie eine eigentlich mythische Sage. - Abgesehen aber von dieser fortdauernden Beziehung dieser Märchen zur Wunderwelt wird der unbefangene Sammler schon aus culturgeschichtlichen Gründen sie neben jenen eigentlich mythischen Traditionen nicht ganz bei Seite lassen können.
Mehrere Märchen dieser Art, welche ich hier natürlich nicht wieder abdrucken lasse, theile ich in der gleichzeitig von mir erscheinenden Erzählung „Der Pfarrer von Grünrode“ mit, in welcher sich auch Manches für [XIII] Sitten und Gebräuche in der Harzgegend findet; z.B. I, 14; I, 25-26; I, 31; I, 50-58; II, 71-79; II, 120-122; II, 138-139. Von den bezeichneten in jener Erzählung eingeschalteten Märchen findet sich das erste II, 8 und 9. Es ist ein Patermärchen, das an Schalkhaftigkeit seines Gleichen sucht, und in der That von einem vornehmen und noch nicht alten katholischen Geistlichen, der jetzt in Westfalen, wo er her war, eine einflußreiche Stellung bekleidet, erzählt wurde. II, 80-86 folgt dann ein oberharzisches Märchen vom „Cantor Bär“; dazu ist zu bemerken, daß die Verkleidung in einen Bären bei mancherlei Volksgebräuchen vorkommt; namentlich nach Grimm's „Deutscher Mythologie“ früher in Halberstadt und bei der Laubeinkleidung in der Grafschaft Ziegenhain; auch nach dem dritten Theil der „Kinder- und Hausmärchen“, S. 70, in Thüringen (vergl. auch Boccaccio's „Dekameron“, vierter Tag, zweite Novelle, Ernst Ortlepp's Uebersetzung II, 38). - Auch II, 88-91 des „Pfarrers von Grünrode“ finden sich dann noch einige kleine, leichte märchenartige Geschichten vom Oberharz.
Es ist oben auch im Vorbeigehen des Einflusses gedacht worden, welchen die Schwänke aus dem Munde des Volks auf Schriften wie das Hebel'sche „Schatzkästlein“ gehabt haben. Auch der Einfluß der Märchen überhaupt auf die Poesie, namentlich auf Lyrik und Drama, ist sehr bedeutend und sein Umfang wol kaum zu ermessen. Was hat nicht Boccaccio, der freilich nicht blos Märchenstoffe aufzeichnete, an Shakspeare, an Bürger u.s.w. für Material geliefert! Noch neuerdings sahen wir auf dem leipziger Theater eine berliner Posse: „Guten Morgen, Herr Fischer!“ welche noch immer deutlich [XIV] an einen Schwank in Boccaccio's „Dekameron“ erinnert, der folgende Ueberschrift führt: „Die Frau eines Arztes legt ihren schlaftrunkenen Liebhaber für todt in einen Kasten, welchen zwei Wucherer wegstehlen und nach Hause tragen. Dort erwacht er, und wird für einen Dieb gehalten. Die Magd der Dame sagt aber vor Gericht aus, sie selbst habe ihn in den Kasten gelegt, welchen die Wucherer gestohlen hätten. Auf diese Art entgeht er dem Galgen, und die Wucherer werden des gestohlenen Kastens halber zu einer Geldbuße verurtheilt.“ Der Kasten, der Arzt und die Magd - eine köstliche Rolle der Frau Günther-Bachmann in Leipzig - finden sich noch in der berliner Posse; der Ehebruch war beseitigt und klang nur noch in einer sehr komischen Scene mit der Frau des Arztes durch, welche auf einem Misverständnisse von Seiten dieser Dame beruht. Das Stück war übrigens nach dem Französischen selbständig gearbeitet, und er wird sich dort, da der Ehebruch jetzt in der französischen Literatur für die eigentliche Würze des Lebens gilt, vielleicht noch finden. - Auch die wiener Possendichter, Raymund und Nestroy, haben offenbar viele Märchenstoffe benutzt; so z.B. entspricht „Der böse Geist Lumpacivagabundus“ dem Grimm'schen Märchen Nr. 182: „Die Geschenke des kleinen Volkes“, und dem ersten Märchen im Anhange zu Emil Sommer's „Sagen aus Sachsen und Thüringen“ (1846), betitelt: „Der Berggeister Geschenke“. Die Musik und das Wirthshaus in den beiden Märchen, sowie der Name „meine Margret“ bei Sommer, und vielleicht auch der Ausdruck „angenehmer Gegenstand“ bei Grimm könnten freilich als Reminiscenzen aus der Posse in das Märchen gekommen sein. Im Uebrigen hat diese die Geschenke des kleinen Volks in das große Loos verwandelt. [XV] Im Allgemeinen deutet die Nennung eines gewöhnlichen Vor- und Zunamens, wie hier z.B. bei Sommer „Margaret“, wol immer auf irgend eine wenn auch nur ganz unbedeutend eingreifende Erinnerung an Bücher oder auch an das Theater. Manche gewöhnliche Namen erscheinen aber durch Beiwörter wieder echt märchenhaft, z.B. der eiserne Heinrich und Ferenand getrü bei Grimm. Befremdend und merkwürdig ist in unserm ersten Märchen die Zusammenstellung des Namens Adelheid mit zwei seltsam gebildeten, ihm aber entsprechenden Märchennamen: Bärenheid und Wallfild. Die Nennung historischer Namen erklärt sich von selbst, kann aber im Märchen wol im Allgemeinen nur stattfinden, wo die räumliche Entfernung vom Schauplatze eines Helden so groß ist, daß die Erinnerung an die historische Person nicht der Ortssage zufällt, und wo auch eine nähere politische Beziehung nicht stattfindet, denn sonst würde sie der Geschichtssage zufallen. In preußischen Gegenden sind durch die Sammlungen von Tettau und Temme schon Zieten und der alte Dessauer als Personen, auf welche Sagen übertragen sind, nachgewiesen. (Vergl. unten S. XXXII und XXXIII.) Am wenigsten hat die Nennung von Ortsnamen zu bedeuten. Gewöhnlich werden ein paar große Städte genannt, deren Umfang mächtig auf die Phantasie einsamer Landbewohner wirkt. So auf dem Oberharze ganz naturgemäß gewöhnlich Hamburg; wenn in der ersten Abtheilung von Nr. 62 Wien genannt wird, so mag dabei freilich irgend eine, wenn auch nur leichte, fremdartige Einwirkung mit unterlaufen. Näher liegende Orte, namentlich in Nr. 6 unserer Sammlung die Stadt Stolberg, werden genannt, weil man sich durch einen einzelnen Zug des Märchens flüchtig an eine Ortssage, auch wol [XVI] an einen geschichtlichen Zug erinnert fühlt, hier an den Glockenguß von Stolberg, der, wenn wir nicht irren, ähnlich von Breslau erzählt wird. - Die Nennung der Namen entfernter Länder, wo die Märchenhelden Könige und Königinnen werden, hat natürlich gar nichts zu bedeuten.
Die Namen: Märchen, Sagen, Schwänke u.s.w. sind auch hier im Volke unbekannt, und in der Regel sagt man dafür: Räthsel, Strössel. Das Letztere deutet vielleicht darauf, daß man sie gern in einer gewissen künstlerischen Form, wo möglich mit bestimmten überlieferten Worten erzählt. Das Wort Räthsel scheint ganz denselben Sinn zu haben, wie Gespräch. Gespräch wird nach Emil Sommer in andern Gegenden auch für Sage und Märchen gebraucht, und Räthsel bedeutet in unsern Gegenden auch soviel als das Wort Gespräch in der deutschen Schriftsprache bedeutet. So sagte ein Mann aus Pöhlde, bei dem ich nach alten Ueberlieferungen geforscht hatte, ausweichend: „Jetzt haben die Leute ihre Räthsel von Duderstadt, wo das große Feuer gewesen ist.“ Wenn ich nicht irre, so war es in Lauterberg, wo man (wol besonders die Märchen und Schwänke) alte Schnitzer, alte Schnitzerchen nannte. Auf dem Oberharze selbst bis fast nach Nordhausen hin nennt man die Ueberlieferungen auch „Grundgeschichten“. Sie wollen also den wahren Grund haben, sagte ein Mann in der Gegend von Herzberg, nachdem ich ihm begreiflich gemacht hatte, daß es mir um die mündliche, von den Vorfahren ererbte Ueberlieferung zu thun sei. - In Dorste und andern Dörfern jenseits Osterode nach Göttingen zu sagt man auch „Vertellräthsels“ (Erzählräthsel). - Im Halberstädtischen habe ich für Märchen und Sagen nur den weitläufigen Ausdruck gehört: „Ole Geschichten [XVII] von Olders her te vertellen“; bestimmter ist auf dem Oberharze der entsprechende Ausdruck: „Ole Vertelligen.“ Wo das Wort Sage einmal vom Volk gebraucht wird, fehlen einer Erzählung gewöhnlich die mythischen Züge und es liegen bestimmte geschichtliche Erinnerungen vor. Werden Märchen und Sagen aufgeschrieben, so werden sie zu „Abfassungen“ und kommen „in die Drucke“.
Unter meinen Quellen muß ich einen Mann nennen, der sich auf eine so merkwürdige Weise in die Wunderwelt hineingelebt hat, wie nur jemals eine solche Person einen Sammler durch ihre umfassende Kenntniß der Mythenwelt in Erstaunen gesetzt haben kann. Geboren erst 1816 wohnt er gegenwärtig in seinem Geburtsorte Lerbach, sein Name ist Bertram. Drei Jahre lang wanderte er als Schuhmachergesell zwischen Hamburg, Bremen und Kassel, in Hamburg hielt er gute Kameradschaft mit den Matrosen; seine Beschäftigung sind jetzt Wegearbeiten, welche ihn oft von der Heerstraße zwischen Klausthal und Osterode, wo er als sogenannter Statiöner vereidigt ist, Wochen und Monate lang zur Ausbesserung grundloser Köhlerwege in entlegene Waldungen führen. Er lebt und webt ganz in der Natur und nach alten Ueberlieferungen, behält das glückbringende Aller-Manns-Herrn- Kraut, das er zu Himmelfahrt sammelt, das ganze Jahr über in der Tasche, behauptet den wilden Jäger schon zweimal gesehen zu haben und macht dabei doch den Eindruck eines muntern, verständigen und unermüdlich in seinem Beruf thätigen Mannes sowie eines musterhaften Hausvaters. Das Meiste von Dem, was er an Märchen, Sagen und Aberglauben weiß, ist ihm in seiner Jugend von einem vor fünfundzwanzig Jahren verstorbenen alten lerbacher Silberhüttenmanne Namens Specht überliefert, [XVIII] der es wiederum in seiner Kindheit fast ausschließlich von seinem Großvater erfahren hatte. Doch hat er auch Einiges von der Wanderschaft mitgebracht, namentlich aus der wie mir scheint an schönen Sagen und Märchen sehr reichen Lüneburger Haide, die er mit einem ganzen Rudel Handwerksburschen durchkreuzte, von welchen besonders Einer aus Peine im Hannöverschen und ein Pommer zu erzählen verstand. Ohne diesen Wegarbeiter wäre diese Sammlung wenigstens nicht in der, soviel ich nach den Angaben anderer Sammler sehe, auffallend kurzen Frist von ungefähr drei Vierteljahren zu Stande gekommen; sein Interesse an den Ueberlieferungen und seine Einsicht ist so groß, daß er, seit seine eigenen Erinnerungen erschöpft sind, fortwährend darauf speculirt hat, mir andere Erzähler zuzuführen, worin er es auch in der Regel gut getroffen hat. Daneben muß ich überhaupt das Glück preisen, das mich in dem tiefen lerbacher Thale einen jener Orte entdecken ließ, in dem alte Ueberlieferungen sich gleichsam zu stauen scheinen, als wüßten sie, wenn sie einmal in diese Thalkessel gelangt sind, nicht wieder über die hohen Berge hinaus zu kommen. Der große Ort wird meist von Köhlern und andern Waldarbeitern bewohnt, welche mit Arbeitern aus andern Orten zusammen während des Sommers in Hütten auf dem ganzen hannöverschen Harze umherwohnen und im Spätherbst solche Mären heimbringen, wie ich sie in diesem Buche erzähle.
Die Zahl der Märchen in meiner Sammlung, zu welchen sich bestimmt entsprechende unter den 210 Grimm'schen Märchen finden, ist verhältnißmäßig gerade nicht groß. Als nicht ganz unbedeutend ergeben sich die Berührungen mit den tiroler Märchen der Brüder Zingerle (1852). Die Berührungen mit [XIX] J.W. Wolf's hauptsächlich im Odenwalde gesammelten „Hausmärchen“ (1851) scheinen mir geringer als die mit den „Volksmärchen aus Schwaben“ von Professor Ernst Meier. Ja, die Verwandtschaft der oberharzischen Märchen mit den schwäbischen würde noch deutlicher hervortreten, wenn ich ganz dieselben Grundsätze bei der Aufnahme verfolgt hätte als der gelehrte und verdienstvolle Herausgeber der schwäbischen Märchen, denn manche, die ich bei ihm nun doch finde, waren mir gleichfalls erzählt. Ein günstiger Zufall hat es gefügt, daß unter den neunzehn Märchen im Anhange von Kuhn und Schwarz „Norddeutsche Sagen“ (1848) nur zwei den Märchen in meiner Sammlung entsprechen, wiewol mehrere davon auch auf dem Oberharze gesammelt sind; viel mehr Beziehungen treten hervor zu den von Emil Sommer meist in der Saalgegend gesammelten und seinen „Sagen“ angehängten Märchen. Bechstein gab seine Märchen zum Theil nach mittelhochdeutschen Dichtern, auch nach Haupt's Zeitschrift u.s.w. heraus, weshalb danach ein Urtheil über das Verhältniß der harzischen Märchen zu den thüringischen und fränkischen schwierig ist. Nach Vergleich auch der Varianten und der Auszüge aus den gesammten fremden Literaturen im dritten Theile der Grimm'schen Sammlung bleibt der vorliegenden Sammlung noch eine verhältnißmäßig nicht unbeträchtliche Anzahl wesentlich neuer Märchen.
Es ist hier nun wol auch der Ort, um den Inhalt eines Märchens anzugeben, welches ich leider nicht in der Vollständigkeit erfahren konnte, daß es schon an und für sich ein Interesse bei dem Leser erregen würde. Mit seiner Eisenstange bestätigt es auf auffallende Weise, was Finn Magnusen über die Verwandtschaft des heiligen Christoph mit Thor angeregt hat, und was [XX] J.W. Wolf veranlaßte, nachzuweisen, daß auch in Deutschland das Volk durch die Darstellung dieses Heiligen an Donar erinnert wurde, wenn auch der Mythus, der hier den Uebergang bahne, „in der Sage, im Märchen uns verloren“ sei. Der „dicke Christoffel“, wie er von einem Knaben aus Sieber genannt wurde, ist in meinem Märchen ein Schmied, wenn auch ein Goldschmied. Woher er als Goldschmied die Eisenstange bekommt, bleibt dunkel, genug, er geht mit ihr auf Reisen und prügelt mit ihr ein Männchen, das ihm begegnet und dem gleichfalls überirdische Kräfte beiwohnen, so gewaltig, daß dieses ihn schließlich auffordert, in drei hintereinander liegenden Höhlen drei Prinzessinnen von neun Drachen zu erlösen. Wirklich schlägt der dicke Christoph alle neun Drachen mit seiner Eisenstange nieder, verlobt sich mit der ersten Prinzessin, wird aber dann auf eine nicht zu ermittelnde Weise noch einmal von ihr getrennt, gibt sich bei einen Goldschmied in Arbeit, beweist, als die drei Prinzessinnen einmal vor dem Laden des Goldschmieds vorbeikommen, durch Vorzeigung der Eisenstange, daß er ihr Erlöser ist, und heirathet seine Verlobte.
Wir lassen jetzt noch eine Reihe von Bemerkungen über die einzelnen von uns aufgezeichneten Märchen folgen, welche die Uebersicht über unsere Sammlung und ihren wissenschaftlichen Gebrauch erleichtern sollen. Dabei citiren wir auch die Märchen in andern Sammlungen, welche zu den unsern in Beziehung stehen.
In dem Märchen Nr. 1: Bärenheid, Adelheid und Wallfild, war, besonders im Munde des Erzählers, [XXI] eines ganz ungebildeten Mannes, das „Cambridgenthal“ merkwürdig, in welchem der Stier geht. Auch hier ist bereits das funfzehnte Lebensjahr wichtig, was sich oft wiederholt, namentlich in dem Märchen Nr. 9: Der Jude und das Vorlegeschloß, und Nr. 10: Das Schloß der Geister, wo der Tag, an dem man funfzehn Jahre alt wird, gleichsam die ganze Wunderwelt aufschließt, was dort sogar von ältern Leuten aus Speculation benutzt wird. In Nr. 10 wird sogar mit einer Prinzessin an dem Tage, wo sie funfzehn Jahr alt wird, auch eine eigenthümliche Ceremonie vorgenommen. - In Nr. 1 kommt auch bereits zum ersten Male der Zug vor, daß die Haare von Thieren, wenn sie, losgelöst vom Körper, an dem sie ursprünglich haften, gerieben werden, eine übernatürliche Wirkung hervorbringen (womit auch das Reiben des alten Lichtes und des Ringes in Nr. 10 verglichen werden kann). Diese Wirkung ist in Nr. 1 ganz dieselbe wie in Nr. 6: Der Mann ohne Leib. In Nr. 5: Glücksvogel und Pechvogel, bettelt eine Hexe um einige Hundehaare. Hierzu sind zu vergleichen J.W. Wolf's „Beiträge zur deutschen Mythologie“ I, 226, wo es heißt: „Wenn man ausgekämmtes Haar auf die Straße wirft, so können das die Hexen zu etwas gebrauchen.“ In Harzeburg, wo man sich am Freitag die Nägel beschneidet u.s.w., dürfen besonders Frauen ihr Haar nicht aus dem Fenster werfen, denn wenn sonst ein Vogel es nimmt und sein Nest damit baut, so haben sie immerfort Kopfschmerz. Auf Klausthal legt man, wenn eine neue Kuh zum ersten Mal aus dem Stalle auf die Weide geht, ein paar Haare, die ihr zwischen den Ohren weggeschnitten werden, unter die Schwelle des Stalles. Auch ist für die Hundehaare noch zu vergleichen: „Der Kaufmann“ [XXII] aus dem „Pentameron“ des Basile in den Auszügen bei Grimm, „Kinder- und Hausmärchen“, III, 294. - In wesentlichern Punkten entspricht unserm Märchen Nr. 1 im „Pentameron“ „Die drei Könige“, „Kinder- und Hausmärchen“ III, 337-339. Ferner vergl. bei Grimm II, Nr. 197 „Die Krystallkugel“.
Zu Nr. 2: Die Prinzessin von Portugal und der Prinz von Engeland, ist zu bemerken, daß England und Portugal (in ganz anderm Zusammenhange findet sich die Prinzessin von Portugal auch bei Meier, S. 65) im Kindermunde geläufige Worte sind. So heißt ein Spruch beim sogenannten Abzählen vor den Spielen der Kinder folgendermaßen: „Ohne, Bohne, weiße Bohne! Willst du mit nach Engeland? Engeland ist zugeschlossen, und der Schlüssel abgebrochen - Vier Pferde vor dem Wagen, Enne wenne weg.“ - Das Märchen Nr. 2 hat einen Zug gemein mit „König Drosselbart“ bei Grimm, Nr. 52. Etwas mehr entspricht das zweite Märchen bei Sommer: „Der eiserne Mann“. Dort wird statt der Glocken ein Ball von Krystall benutzt, dessen Zauberwirkung auch in einer Novelle von Hermann Schiff in dem von mir herausgegebenen Jahrbuch für 1847 erwähnt wird, indem dort die wol dem Volksmunde entnommenen Worte vorkommen:
Blanker Ball
Von Krystall,
Zeig mir meinen Bräutigam einmal.
Das Märchen Nr. 3: Springendes Wasser, sprechender Vogel, singender Baum, ist eine Verschmelzung zweier verschiedenen Berichte, von denen einer mir auf dem Oberharze, der andere von Freytag [XXIII] so mitgetheilt worden ist, wie Dieser sich das Märchen in Schlesien aufgezeichnet hatte. So aus zwei grundverschiedenen Traditionen zusammengeschmolzen, erscheint es hier ohne Zweifel viel vollständiger als bei Grimm: „De drei Vügelkens“, und in Wolf's „Hausmärchen“ „Die drei Königskinder.“ (Vergl. außerdem bei Meier: „Der König Auffahrer des Meeres.“) Der Alte in unserm Märchen erinnert einigermaßen an den Alten in „Die sieben Raben“ im „Pentameron“, in den Auszügen bei Grimm, „Kinder- und Hausmärchen“ III., 350. In dem schon oben erwähnten Märchen Nr. 182 bei Grimm und dem gleichfalls schon oben erwähnten ersten Märchen bei Sommer wird auf einem Hügel um einen Alten herum, bei dem nachher auch das Barbieren ins Spiel kommt, eine eigenthümliche Ceremonie vorgenommen. (Zu dem Barbieren vergl. auch unser Märchen Nr. 72: „Die Barbiermühle.“) Einen solchen räthselhaften Alten, der entweder barbiert oder barbiert wird (das Letztere scheint das Ursprünglichere), oder beides zugleich, sehe ich öfter vorkommen. Bei Musäus ist der Alte schon ein förmlicher Barbier, überhaupt scheinen aus diesem Alten die gespenstischen Barbiere entstanden, welche in bestimmten Häusern Nachts zu den Reisenden kommen und zuweilen selbst barbiert werden, was wiederum die Hauptsache scheint. Am ersten könnte es wol zu einem Aufschluß führen, daß die Barbiere immer Schätze unter ihrer Obhut haben (wie dies bei ihnen als gewöhnlichen Gespenstern motivirt wird, thut natürlich nichts zur Sache). Der Alte bei Sommer begabt sogar mit Kohlen, die zu Gold werden, und der in unserm Märchen Nr. 3 ist wenigstens der Hüter des Berges mit dem Vogel u.s.w. Wegen des Anfangs von Nr. 3 vergl. „Die Knaben mit den goldenen Sternen“ [XXIV] in Ludwig Bechstein's „Märchenbuch“ S. 250. Die goldenen Kreuze auf der Stirn kommen auch sonst vor und deuten nach dem 3. Bande der „Kinder- und Hausmärchen“ auf edle Abkunft; sie sind daher in unserm Märchen, in das sie übrigens aus der schlesischen Fassung kommen, mit Recht mit Tüchern verhüllt, solange die edle Abkunft durch Bosheit ganz verdunkelt ist. Auch in meiner Schrift: „Aus dem Harze. Skizzen und Sagen“ (1851) wird, jedoch durch eine darin eingehüllte Hostie, S. 103 ein Tuch blutig.
Zu dem Bestreichen der Leichensteine mit dem Speichel des Vogels ist zu vergleichen Jakob Grimm's „Deutsche Mythologie“, S. 646. Bedeutungsvoll ist in diesem Märchen, in dem dann folgenden Nr. 4: Der Jäger über alle Jäger, und in Nr. 5: Glücksvogel und Pechvogel, noch die jedesmalige Einleitung, wonach schon bei der Geburt Derer, die in die Wunderwelt eintreten sollen, sich Wunderbares ereignet. Der in dem zuletztgenannten Märchen vorkommende Zug von den Messern, welche schwarz werden, wenn einem der Brüder ein Unglück widerfahren ist, kehrt fast regelmäßig wieder. In einem Märchen, das ich nicht aufzeichne, nehmen zwei Brüder zwei Gläser mit Wasser mit in die Fremde. Wenn das Wasser in dem Glase des einen Bruders schwarz wird, so kann er daran sehen, daß dem andern Bruder ein Unglück zugestoßen ist. Der Zug von den Tüchern, welche im gleichen Falle blutig werden, ist aus dem schlesischen Berichte in das dritte Märchen gekommen. Ueberhaupt machen nach Sammlungen aus andern Gegenden Geschwister, wenn sie auseinandergehen, sich mancherlei ähnliche, aber andere Zeichen.
Zu Nr. 5: Glücksvogel und Pechvogel (zwei moderne Namen) vergl. bei Grimm „Die zwei Brüder“, [XXV] II, Nr. 60; bei Zingerle „Der Fischer“, Nr. 25; bei Kuhn und Schwarz „Die beiden gleichen Brüder“, S. 337. Zu dem Drachenkampfe, dem Zungenausschneiden u.s.w. findet sich Entsprechendes überall. Von den Varianten, die ich gehört, ist die bemerkenswertheste die, wonach der Held Siegfried heißt und bei einem Schmied in der Lehre ist; sein Meister schickt ihn in den Wald nach Kohlen, und denkt, daß ihn dort ein Riese tödten wird. Der Riese schnellt auch einen Baum auf ihn, er schnellt ihn aber - das Wie war dem Erzähler nicht klar - zurück und tödtet den Riesen. Er preßt ihm das Fett aus, beschmiert sich damit, wird nun der „gehörnte Siegfried“ genannt, kämpft mit dem Drachen, zieht, wenn er ermattet, ein Töpfchen, das er noch von dem überflüssigen Fett des Riesen gefüllt hat, hervor, bestreicht sich von neuem damit und siegt. Nachdem der Drache erlegt ist, geht Alles den gewöhnlichen Gang, nur daß Siegfried die Prinzessin an ihrem Hochzeitstage mit dem falschen Diener vom Wirthshause aus durch einen Zettel, den er ihr durch die Hunde schickt, nicht nur um Speise, sondern auch um einen Tanz bittet.
Nr. 6: Der Mann ohne Leib veranlaßt uns zu einigen Bemerkungen über die Erlösung bei den Verwünschungen in unsern Märchen. In dem vorliegenden Märchen erlöst ein Lehrling den Mann ohne Leib (?), der sich nach Art der Drachen eine Prinzessin angeeignet hat, und dadurch wird zugleich die Prinzessin mit erlöst, welche den unfreiwilligen Aufenthaltsort des Mannes ohne Leib theilen mußte. Allein jetzt entsteht ein Streit um den Besitz der Prinzessin zwischen dem Erlöser und dem Manne, dem sie angehört. Er wird zu Gunsten des Erlösers entschieden, während in Nr. 1 Bärenheid, Adelheid und [XXVI] Wallfild den drei Brüdern verbleiben, welche sie als Bär, Adler und Wallfisch heiratheten. Diese waren aber durch den Bruder ihrer drei Frauen erlöst, und demnach erscheint überall, wo sie an sich möglich ist, die Heirath zwischen Erlöser und Erlösten als selbstverständlich. Dies geht so weit, daß bei Meier S. 264 eine von den Aerzten früher aufgegebene und dann noch geheilte Prinzessin auf die Frage, wen sie heirathen wolle, antwortet: „Keinen Andern als den Doctor, der mich geheilt hat“, als ob sie gar nicht anders heirathen könnte. Die Erlösung geschieht, um das zugleich hier zu bemerken, in unsern Märchen stets durch das Vollbringen bestimmter Aufgaben, welche gewöhnlich übernatürliche Kraft oder doch seltene Geschicklichkeit verlangen. Bei dem Märchen Nr. 34: Der Zaubergürtel, war nicht zu erfahren, worin die Erlösung durch einen Blinden eigentlich bestanden hatte. Daß durch Liebesbezeigungen und schon durch Küsse eine Erlösung vollbracht wird, liegt wol nur im Geiste der Märchen, wenn die Verwünschung in einem Zauberschlafe besteht. Auch bei der Erlösung durch Küsse (worüber man jedoch vergleiche Grimm's „Mythologie“ und Sommer's Monographie „De osculo“ etc., auch unser Märchen Nr. 8, wo sogar der Kuß eines Hündchens die bekannte Zauberwirkung, das Vergessen einer Geliebten, hervorbringt) kann aber, wenn wir fremde Märchen herbeiziehen wollen, eine eigentliche Arbeit zuweilen auch darin vorliegen, daß der Erlöser durch Dornen und Gestrüpp, welche die verwünschte Burg umgeben, hindurchdringt. Dies ist freilich bei der Erlösung in Schlössern, welche in unserm Märchen Nr. 29, Das getreue Roß, auf dem Meere entstehen, nicht der Fall. Allein dieses Märchen entfaltet überhaupt in der Episode dieser Erlösung auf dem Meere [XXVII] durch einen Königssohn, der schon durch eine andere Erlösung gebunden ist, einen unerhörten und dem Märchen sonst fremden Luxus. - Der Zug in Nr. 6 vom Blinden und den Raben oder Krähen auch bei Grimm in „Die beiden Wanderer“, II, Nr. 107. Vergl. auch unser Märchen Nr. 34. - Die Ameisen, welche in diesem und dem folgenden Märchen vorkommen, heißen in Niedersachsen Seechamseln oder Mieaanten.
Zu Nr. 7: Soldat Lorenz, vergl. bei Grimm „Die weiße Schlange“, I, Nr. 17; „Die Bienenkönigin“, ebenda, I, Nr. 62. Zwei von den drei dem Soldat Lorenz gestellten Aufgaben kommen auch in dem übrigens ganz abweichenden Märchen: „Die verzauberte Prinzessin“, bei Bechstein S. 28 vor.
Nr. 8: Der Prinz und der Zauberer, liegt eine schriftliche Mittheilung von Karl Strodt zu Grunde. Bei Wolf entspricht „Grünus Krawalle“, S. 286.
In Nr. 9: Der Jude und das Vorlegeschloß (vergl. dazu bei Grimm den Schluß von Nr. 92: „Der König vom goldenen Berg“), ist die Aufstellung der drei Riesen, wie es scheint in bestimmten Zwischenräumen bis ans Ende der Welt, eigenthümlich, wozu man noch den Riesen in dem Grimm'schen Märchen Nr. 93: „Die Rabe“, vergleichen kann, welcher Auskunft über geographische Gegenstände ertheilt und sogar Landkarten hält. Zu dem Vorhängeschlosse ist zu bemerken, daß nach Grimm's Mythologie einmal ein alter Held mit einem umgehängten Schlosse zu Kampf und Sieg stürzte; auch für einen Aberglauben, der sich noch jetzt in Niedersachsen und in Thüringen an das Zuschnappen von Schlössern heftet: „Walddrossel. Ein Lebensbild. Von H. Pröhle“, (1851) S. 290, und Bechstein's „Thüringischer Sagenschatz“ [XXVIII] II, 122, sowie ebenda III, 219. Bei dem Versetzen des Schlosses auf einen andern Platz scheint es wesentlich, daß die Bewohner in Schlaf versinken. Vergl. in dieser Beziehung: „Aus dem Harze“ S. 94, wonach das wernigeroder Schloß von Geistern zur Nachtzeit auf seinen jetzigen Platz versetzt wird.
Nr. 11: Die Riesen und das Stippfeuerzeug, wirft uralte mythische Wesen mit den neuesten Culturzuständen durcheinander, und klingt dabei an die erste französische Revolution an (Hinrichtung eines Königs auf dem Schaffot). Der Zug, daß für den Schusterjungen ein Schaffot aus Gold erbaut wird, erinnert an das Volkslied „War einst ein jung, jung Zimmergesell“, worin der Schusterjunge, der die Liebe der Gräfin genossen hat, sich zuletzt selbst einen Galgen von Gold und Marmelstein erbauen muß. In einer von Bürger als Ballade unter dem Titel „Lenardo und Blandine“ behandelten Novelle von Boccaccio (Ortlepp's Uebersetzung II, 24) wird der Fürstentochter das Herz ihres unebenbürtigen Geliebten nach seiner Ermordung in goldenem Gefäße zugeschickt, und Aehnliches geschieht oft. - Ein Schwefelhölzchen kommt in einem Andersen'schen, wol rein vom Dichter erfundenen Märchen vor, worin ein Kind mit Schwefelhölzchen handelt, am Weihnachtsabend eins anzündet, das ihm wie ein Weihnachtsbaum mit Lichtern vorkommt, und dann auf der Straße erfriert. - Bei Grimm entspricht dem vorliegenden Märchen „Das blaue Licht“, wo statt des Riesen ein Männchen.
In Nr. 12-16 tritt der Tod persönlich auf. Nr. 12 enthält das berühmte Märchen vom „Gevatter Tod“, zum größern Theil aufgezeichnet von Herrn Pastor G. Schulze in Altenau, dem Sammler der „Harzgedichte“ (2. Aufl., 1851), und mir schriftlich übergeben, [XXIX] am Schlusse ergänzt durch eine abweichende gleichfalls oberharzische Tradition, welche mir selbst zu Ohren gekommen war. In dieser Fassung enthält das schon bei Grimm und bei Bechstein, sowie mit einem schwankartigen Schlusse bei Wolf (vergl. übrigens auch „Aus dem Harze“ S. 87, wo Hackelberg Gevatter steht und die Goldstücke dabei wenigstens nicht fehlen) stehende Märchen mehrere neue Züge, wohin ich hauptsächlich rechne, daß der Doctor Tod, welchen Namen der Pathe des Todes nach Schulze's Mittheilung annimmt, zuletzt selbst sein Lebenslicht putzen will und es dabei versieht, was freilich der Tod vorher zu wissen scheint. Dieser Zug ist sehr poetisch, denn der Tod des jungen Arztes ist hier die ganz natürliche Folge des frevelhaften Spiels, das er sich gewöhnt hat, mit Tod und Leben zu treiben.
Von dem prächtigen Märchen Nr. 12: Die sieben Frauenbilder und der König der Todten, ist mir in frühern Sammlungen (abgesehen von der Einkehr des jungen Königs bei einem Hirten, wozu vergl. bei Meier die Einkehr bei einem Schuster in Nr. 72: „Der König Auffahrer des Meeres“) kaum einmal eine Andeutung begegnet, ebenso wenig als von der chevaleresken Erscheinung des „Königs der Todten“ selbst. Auch bei ihm ist übrigens der im Ganzen gutmüthige Charakter von „Gevatter Tod“ nicht zu verkennen. Und wenn man auch aus seinem moosbewachsenen Königsschlosse nichts zu machen wüßte (wiewol ja auch schon bei Wolf der Tod in einem Schlosse wohnt), so steht es doch mit unterirdischen Höhlen in Verbindung, in welchen der König der Todten die ihm übergebenen Schätze verwahrt, und in der wir seine ursprüngliche Wohnung wiedererkennen, wo sein schlichter bäurischer [XXX] Bruder, der Gevatter Tod, die Lebenslichter stehen hat. Zu dem Spiegel des jungen Königs würde auch wol zu vergleichen sein der S. XXIII des Vorwortes angeführte Reim aus der Novelle im Jahrbuch für 1847. -
In Nr. 14: Das weiße Männchen und die Jungfrau, wurde natürlich die Vermuthung, daß das weiße Männchen der Tod gewesen sei, von unserm Erzähler selbst ausgesprochen, und da sich hier der Saal mit den Lichtern in der That wiederfindet, so scheint das Ganze aus einer Vermischung des Märchens vom Blaubart mit dem vom Gevatter Tod hervorgegangen. Der Zug, daß das Männchen sich durch schlaue Verträge Kinder armer Aeltern verschafft, ist vom Teufel entnommen (s. unten S. XXXIV und XXXV), wie denn nach Grimm's „Mythologie“ das genannte Männchen in den Teufel übergeht.
Nr. 15: Elend währt bis an den jüngsten Tag, ist nach einem fliegenden Blatte bearbeitet, dessen Inhalt aber nicht dem Oberharze besonders zugeeignet werden darf, wie wol sonst fliegende Blätter bestimmten Gegenden vollkommen angehören, sondern schon „Kinder- und Hausmärchen“ III, 147 erwähnt wird mit dem Bemerken, daß es vielleicht eine Uebersetzung der französischen „Histoire nouvelle et divertissement du bon homme Misère“ sei. - Vergl. bei Grimm, I, Nr. 82: „De Spielhansl“; II, Nr. 65: „Die drei Wünsche.“ - Der Birnbaum, auf den der Tod hier steigt, scheint auch sonst mit einem Zauber behaftet, wenigstens mag diese Vorstellung zu Grunde liegen bei Boccaccio dem abscheulichen Schwank II, 308-321 in Ernst Ortlepp's Uebersetzung, wo Nicostratus von einem Birnbaume zusieht, wie Pyrrhus in seiner Gegenwart seine, des [XXXI] Nicostratus, Frau liebkost, worauf dann Beide ihn glauben machen, daß der Birnbaum verzaubert sei und sein Gesicht ihn getäuscht habe. - Sehr ehrwürdig erscheint der Birnbaum in den deutschen Kaisersagen.
In Nr. 16: Der alte Fritz und der Schnappsack (wozu vergl. „Hans und der Teufel“ bei Meier Nr. 10, und ebenda Nr. 62: „Bruder Lustig“, auch „Bruder Lustig“ bei Grimm, I, Nr. 81; auch bei Meier, „Hui in mein'n Sack!“, Nr. 78; „Der Schmied in Rumpelbach“, bei Zingerle Nr. 5), tritt dieser Preußenkönig, diesmal nur als gewöhnlicher Soldat, zum ersten Male auf, kommt mit Petrus und dem Tod, den er lange Jahre in seinem Ranzen hat, wo er sich von einigen Brotkrumen nährt, in Berührung, und bedient sich einmal seines historischen dreieckigen Hutes. Petrus gibt ihm drei Wünsche frei, der alte Fritz vergißt wie ein geborener Märchenheld das Beste, hier die ewige Seligkeit, reitet aber doch endlich auf einem Schimmel (welcher Preuße könnte darin den alten mollwitzer Schimmel verkennen, der sich hier mit Odin's sechsbeinigem Sleipnir zu berühren scheint) in den Himmel ein. Die Teufel hat er furchtbar geprügelt, als sie ihm an den Kragen wollten. Die Alte im Teufelsschlosse erinnert an des Teufels Großmutter, welche gewöhnlich gegen Reisende mild und wohlwollend ist. Er kommt später noch in manchem andern unserer Märchen vor, und außerdem noch in vielen Märchenembryonen, die ich nicht aufgezeichnet habe. Im Ganzen sind diese Märchen vom alten Fritz ein Product aus ältern, ja oft uralten mythischen Stoffen, einigen historischen Nachrichten und Anekdoten. Den vollständigen Charakter des großen Königs, der unsere Väter zu Kampf und Sieg geführt hat, findet man in keinem wieder, wol aber in [XXXII] jedem wenigstens Einen wesentlichen Zug aus seinem Charakter. In allen ist er der Soldatenfreund, in Nr. 16 selbst ein tapferer Soldat. - In Belgien soll Maria Theresia eine Märchenfigur geworden sein, und mit einem Kaiser oder König Joseph, der einmal in Wolf's „Hausmärchen“ vorkommt, scheint Joseph II. gemeint. Beachtenswerth ist für die Mythenbildung, daß der alte Fritz im Hannoverschen als Held des Märchens vorkommt, ich bezweifle, daß es in seinem eigenen frühern Lande möglich wäre, worüber man oben S. XVI vergleiche.
In den Märchen Nr. 16-26 tritt der Teufel auf. Nr. 18, Der Bauer und der Teufel (wozu vergl. bei Grimm II, Nr. 195: „Der Grabhügel“), ist ein sehr sinniges Product der in die Märchenwelt selbst eindringenden Aufklärung und der Abschwächung älterer Mythen. - In Nr. 17, Der Schmied in der Hölle, erscheint die Zahl 48 als bedeutsam: Der Teufel legt achtundvierzig Brennereien an. Uebrigens ist ohne diese kleinen Züge dieses Märchen bei uns alterthümlich genug, moderner das entsprechende bei Bechstein „Der Teufel ist los“, S. 39. - Die Gegenstände, deren sich in Nr. 19, Der goldene Becher, die goldene Tischdecke und die goldene Trompete, der Teufel bedient, sind sämmtlich nicht zufällig gewählt: in Katzen verwandeln sich Hexen, die übrigen beiden Gegenstände sind vom Pferde genommen, von dem namentlich auch der Kopf mythologisch wichtig ist, - vergl. eine unter dem Titel „Der Schwingtag“ aus L. Schücking's Roman „Ein Sohn des Volkes“ ausgehobene Stelle in meinem „Hausbüchlein“ II, 232-233, sowie Grimm's „Mythologie“, S. 626. Ferner „Kinder- und Hausmärchen“ III, 215 und 216, wo sich ein entsprechendes Märchen findet, in dem aber der Teufel andere Dinge herbeibringt als bei uns und [XXXIII] unter einem Birnbaum (vergl. die obige Bemerkung zu Nr. 15) sein Geheimniß verräth. In den „Kinder- und Hausmärchen“ II, Nr. 125, ist die Alte des Teufels Großmutter, die Aufgaben des Teufels sind wenig abweichend von denen in unserm Märchen. Vergl. auch bei Meier „Der angeführte Teufel“. In unserm Märchen Nr. 19 stellt der Teufel den ihm im Grunde schon verfallenen Soldaten noch drei Aufgaben, hier die Lösung dreier Räthsel; ähnlich in Nr. 23, Jungfer Schön, worin sich der Teufel den Namen Hipche, Hipche beilegt, und wozu man vergl. „Rumpelstilzchen“ bei Grimm, I, Nr. 55; bei Zingerle, Nr. 36, „Purzinigele“, auch Nr. 2, „Cistl im Körbl“. - In Nr. 20, Der Teufel und die Handwerksburschen, stellen die Handwerksburschen dem Teufel noch ihre Aufgaben, ehe sie ihm wirklich gehören wollen, und ohne solche Aufgaben scheint der Teufel keine wirkliche Macht über den Menschen zu haben, sodaß er selbst um die ihm scheinbar ohnehin schon ganz verfallenen Seelen noch eine Art Würfelspiel eingehen muß, und sie noch ebenso gut verlieren als gewinnen kann: jedenfalls ein tiefpoetischer Zug, wonach das Märchen den Schuldigen selbst im letzten Augenblicke noch nicht will sinken lassen, und den auch die Sage vom Tannhäuser ausspricht, als der dürre Stecken, den der Papst in die Erde steckt, zu grünen anfängt. - In dem Märchen Nr. 21, Der Teufel auf dem Heuwagen, verspricht ein Vater wissentlich seinen Sohn dem Teufel, was durch die Klugheit und Frömmigkeit des Knaben für die ganze Familie zum Glück ausschlägt, ähnlich wie in Nr. 22, Samiel und der Fischer, wo ein Fischer beim Fischfang ruft: Samiel, hilf! Gewöhnlich wird sonst zwischen den Aeltern und dem Teufel der Vertrag so gestellt, daß jene nicht ahnen, wie sie diesem ihre Kinder versprechen. [XXXIV] Auch so aber bleibt der regelmäßige, selbst für die Aeltern glückliche Ausgang zu verwundern, wenn nicht bei diesen die höchste Noth, welche selbst die Kinder dem Hungertode nahe bringt, vorausgesetzt wird. Zu dem Fischer, der keine Fische fangen kann, vergl. „Kinder- und Hausmärchen“ III, 171, und dazu, daß der Teufel als Grünrock erscheint, ebenda S. 190, sowie Zingerle's „Märchen aus Tirol“, wo er fast niemals anders erscheint. Ferner vergl. den Anfang von „Der König vom goldenen Berg“ bei Grimm, II, 92. - Nr. 25, Die Verächter des Heiligen, verlegt die wilde Jagd auf einen zur Hölle gehörigen grünen Platz vor der Hölle. Die Verwünschten auf dem grünen Platze sind sämmtlich stumm, was nur bei dem Dienstmädchen nebenbei erklärt wird, welches unter der Kirche so eifrig aufwusch, daß es einem Vorübergehenden auf seinen Gruß nicht einmal dankte, sodaß also hier noch ein fremdes Motiv eingreift. Die unfreiwillige Höllenfahrt eines Lebendigen geht schließlich in eine Art von Bergentrückung über: als er wieder auf die Erde kommt, zeigt es sich, daß er volle fünfhundert Jahre fortgewesen ist. - Von Nr. 26, Der Bauer in jener Welt, sind zahlreiche Varianten in Umlauf, und ein Reisender hatte Aehnliches in Württemberg gehört. - In der ersten Abtheilung von Nr. 24, Die Teufelsmühle und die Zwergmühle, ist der „Braukessel voll Erbsen“ zu beachten, der die göttliche Abkunft des Vielfraßes andeutet. Vergl. auch Grimm, II, Nr. 90, „Der junge Riese“. Die zweite Abtheilung macht uns mit einem bis jetzt in Sammlungen wol noch nicht vorkommenden „Zwergengroßvater Trutram“ bekannt, den ich wiederholt nennen hörte; den Zug, daß Der, der ihn mit seiner Schar vertreibt, unter Anderm auf ihn schießt, [XXXV] hat er mit dem Zwergkönig Hübich gemein, über den Grimm, „Mythologie“ S. 422 zu vergleichen ist, und der seit dem Dreißigjährigen Kriege, wo nach dem Hübichenstein geschossen sein soll, nicht mehr erschien.
Das Märchen Nr. 27, Die Geschenke der Klagefrau, oder der „Klagemuhme“, welcher Name den ältesten Personen am geläufigsten ist, führt uns einen Namen vor, der bis jetzt in gedruckten deutschen Märchen und Sagen nicht genannt ist. Der Name Klagefrau, Klagemuhme und Haulemutter oder Häulemutter wird auf dem Oberharze abwechselnd gebraucht für die Frau Holle. Eine weiter greifende Untersuchung über diese Namen und über die oberharzische Frau Holle überhaupt behalte ich mir für die zunächst von mir in der Schweiger'schen Buchhandlung zu Klausthal erscheinenden Sagen vor. - Die Klagemuhme in unserm Märchen erweist sich der Verwandtschaft mit Wuotan nicht unwürdig, denn sie tritt begabend auf, und zwar mit seinen Gegenständen. Wunschhut, Mantel und auch das Horn gehören ihm unzweifelhaft, und auch die Wunschbörse setzt J.W. Wolf S. 17 seiner „Beiträge“, I, zu ihm in Bezug.
Zu Nr. 28, Das Reh, die Löwin und der Bär, vergl. wegen der im Besitz der Einsiedler befindlichen Gegenstände bei Grimm, I, Nr. 59, „Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein“, wo Köhler dergleichen besitzen.
Die kostbare Straße in Nr. 29, Das getreue Roß, kommt öfter vor, z.B. in „Das Wasser des Lebens“ bei Grimm, II, Nr. 97. Zu dem Ganzen vergl. „Der kranke König und seine drei Söhne“ bei Meier, Nr. 5.
Nr. 30, Die Männchen und die Bauernsöhne, [XXXVI] führt uns das sogenannte Männchen in seinem ganzen Glanze vor. Das zweite unter dieser Nummer mitgetheilte Märchen ist von Freytag in Schlesien aufgezeichnet. Darin ist das Männchen ein graues, im oberharzischen ein weißes, ja, sein Charakter geht hier offenbar in den eines weisen Männchens über (es wird Minister), wie denn in Niedersachsen das weiße Roß auf Wirthshausschildern in der Regel ein weises Roß wird. Uebrigens heißt auch in Niedersachsen das Männchen gewöhnlich das graue. Zur ersten Abtheilung vergl. bei Wolf „Der Hinkelhirt“, S. 369. Zur zweiten Abtheilung bei Bechstein „Hirsedieb“, S. 65; bei Sommer das vierte Märchen „Der dumme Wirrschopf“. In dem Märchen Nr. 1 ist bereits eine Definition des Männchens, wie man sie mir gegeben hat, aufgezeichnet, wonach es sich „groß und klein machen“ (?) kann, was, beiläufig bemerkt, die hervorragendste Eigenschaft der oberharzischen Haulemutter ist, und wozu man auch vergl. Kuhn und Schwarz, S. 101 und 481, wonach die Frau, die der wilde Jäger jagt, sich auch groß und klein machen kann.
Nr. 31, Der Brunnen, ist Gustav Freytag in Oberschlesien erzählt. Das Verbrennen der Thierhaut kommt mehrfach vor, und scheint im deutschen Märchen nach dem Abwerfen derselben nothwendig. Aber in der Erzählung „Die Schlange“ aus dem „Pentameron“ des Basile, in den Auszügen bei Grimm „Kinder- und Hausmärchen“ III, 307, führt so viel ich sehe das Verbrennen einer unter ähnlichen Umständen abgeworfenen Schlangenhaut zu neuem Unheil. Das Abwerfen und Verbrennen einer Thierhaut scheint nur bei Jünglingen vorzukommen, aber immer in Gegenwart von Jungfrauen und in unmittelbarer geschlechtlicher Beziehung stattzufinden. - Bei [XXXVII] Grimm entspricht „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“ (I, Nr. 1). Vergl. auch bei Grimm „Das singende, springende Löweneckerchen“, Nr. 88. Wegen der Kleidergeschichte, die überhaupt sehr oft vorkommt, II, Nr. 113 „Die beiden Königskinder“; II, Nr. 127 „Der Eisenofen“; II, Nr. 193 „Der Trommler“. Bei Wolf entspricht „Die eisernen Stiefel“, S. 198.
In Nr. 33, Der Bäckerlehrling, deuten die mit Schätzen gefüllten Gänge, welche der König zeigt, in diesem selbst einen bergentrückten Helden an. Nach Kuhn und Schwarz, S. 497, würde auch in unserm Märchen das Kegelspiel vorzugsweise auf Donar zu beziehen sein, welcher sich nach Grimm's „Mythologie“, S. 912, in der Person des bergentrückten Helden nahe mit Wuotan berührt. - Bei Grimm entspricht übrigens I, Nr. 4 (Fürchten lernen), bei Wolf „Hans ohne Furcht“, S. 328. Vergl. auch mit unserm Märchen Kletke's „Buch vom Rübezahl“ (1852), wo ein Fleischerknecht mit Rübezahl Kegel schiebt und, wie bei uns, einen Kegel mitnimmt, den er aber behalten darf.
Die Wunderkraft des Wassers in Nr. 34, Der Zaubergürtel, kehrt häufig wieder. Vergl. Nr. 6, Nr. 36, Nr. 31 und die obige Bemerkung zu Nr. 6 (S. XXVII). Der Zaubergürtel verleiht „Zwölf-Riesenstärke“. Das Märchen als lachender Erbe des alten Mythus ist hier sehr verschwenderisch: Die „Legenda aurea“ erzählt „Quidam vir duodecim hominum fortitudinem habuit“, und Odhinn arbeitete nur für neun Männer (Wolf's Beiträge, I, S. 97).
Zu Nr. 35, Von bösen und von guten Feen, ist zu bemerken, daß da, wo unsere Märchen gesammelt sind, die Vorstellung von diesen lichten, nicht ursprünglich deutschen[WS 1] Wesen sehr verdunkelt ist. Alle Feen, sagte man [XXXVIII] mir, fressen Leichen bei ihren gemeinsamen nächtlichen Zusammenkünften, und alle Feen sind eigentlich böse. Gute Feen sind daher nur solche, die „noch nicht ausgelernt“ haben, und die das Wenige, was sie von der Zauberei wissen, noch zuweilen zum Guten anwenden. Wie es scheint, werden sie dadurch den bösen Mächten wieder entrissen.
Dem Märchen Nr. 36, Die schöne Magdalene, entspricht im „Pentameron“ des Basile in den Auszügen bei Grimm „Kinder- und Hausmärchen“ III, 319, „Das Mädchen ohne Hände“, doch mit wesentlichen Abweichungen, auch in Bezug auf die eigentlich mythischen Züge. So läßt z.B. dort ein Zauberer dem Mädchen ohne Weiteres die Hände wieder wachsen. Ferner als dieses italienische Märchen steht aber dem unsern „Das Mädchen ohne Hände“ bei Grimm, I, 187.
Derselbe Gedanke wie in Nr. 37: Was ist der Mensch? in einer ganz andern Geschichte bei Grimm, II, Nr. 115 in: „Die klare Sonne bringt's an den Tag“, und bei Meier; ferner in einem deutschen Märchen vom Rebhuhn, welches bei Bechstein steht, in meinen Harzsagen aber sogar als Ortssage von den Helgenstöcken vorkommen wird; ferner in den Kranichen des Ibykus, und auch in den norwegischen Volksmärchen von Asbjörnsen und Moe, deutsch von Bresemann (1847).
Ebenso findet sich derselbe Gedanke wie in Nr. 38, Die drei Gähner, der Gedanke, daß die Natur das Böse und den Verrath von dem arglosen Menschen abzuwehren sucht (wie sie auch nach dem Vorigen das schreiende an dem Schwächern vollführte Unrecht selbst an den Uebelthätern rächt), in einer ganz andern Geschichte „Der Räuber und die Hausthiere“, bei Meier Nr. 3. [XXXIX] Zu Nr. 39, Daumgroß, vergl. bei Grimm „Daumerlings Wanderschaft“, I, Nr. 45; „Der kleine Däumling“ bei Bechstein, S. 131. Bei uns bemerke man die merkwürdige Wendung, wodurch er zu einer Art Bettelvogt wird.
Nr. 40, Kiekam's Haus und die Bettelkinder, enthält in der Ueberschrift einen Namen, der nicht blos in diesem Märchen vorkommt. Man hat eine Art komischer Rede: „Kiekam was en grot Mann“, welche Worte immerfort wiederholt werden. - Dem Märchen entspricht „Hänsel und Grethel“ bei Grimm I, Nr. 15 und bei Bechstein S. 55.
Eine merkwürdige Vermischung der verschiedensten Culturstufen aus der Geschichte findet sich in dem Märchen Nr. 43, Von einem Reisenden, der die Weisheit Gottes ergründen wollte. Der Reisende, welcher diesen Zweck verfolgt, ist Niemand anders als Odysseus. Das Märchen eignet sich hier nur an, was ihm von Rechtswegen gehört, denn schon Grimm sagt „Kinder- und Hausmärchen“ III, 435: „Manche Fabel der Odyssee hat ganz die Natur eines Märchens, wie etwa die von Polyphem.“ Den ersten Zug des Märchens finde ich schon in einem Andachtsbuche „Zum süßen Jesus-Gedächtniß“ vom Jahre 1688, wenn auch abweichend, wo er vom heiligen Augustinus erzählt wird. Dort heißt es S. 39: „Der heilige Augustinus ging einmal spaziren an einem großen Meer, wolte außdenken, Wie Gott Vater, Sohn und heiliger Geist nur Ein Gott wäre, wie es doch immer möglich, daß Eins Drei, und Drei Eins sein könnte. Ein kleines Ding, ohn Zweifel ein Engel, saß am Ufer des Meeres, hatte ein kleines Grübichen in der Erde gegraben, und wolte mit seinem Lepffel das große Meer in die kleine Grube [XL] schöpffen. Augustinus sprach: Mein Kind, was machest du? Das Kind sprach: Ich will das Meer in diß Grübichen schöpffen. Er sprach: Ach, das ist ja nimmer möglich. Das Kind antwortete: Viel unmöglicher ist dir, außzuforschen, daß Gott in drey Personen sei.“ Der Zug vom großen Kessel erinnert sodann an einen Mythus von Thor (vergl. Wolf, „Beiträge zur Mythologie“, I, 96). Für den großen Kohlkopf vergl. „Kinder- und Hausmärchen“ III, 202. Der folgende Zug zeigt uns Odysseus eben bei Polyphem. Sein Abenteuer mit diesem klingt auch in den „Norddeutschen Sagen“ von Kuhn und Schwarz, S. 97, sogar in einer Ortssage aus Deetz! wieder, wo ein Schäfer einem Wassernix sagt, er heiße „Selbergedan“, und ihm dann einen Streich spielt. Auch in dem Grimm'schen Märchen „Der Räuber und seine drei Söhne“ finden sich Anklänge an die Flucht des Odysseus aus der Höhle des Polyphem. - Der in unserm Märchen nun folgende Zug zeigt uns deutlich Odysseus bei den Phäaken. Der dann folgende klingt verwirrt an einen indischen Religionsgebrauch an, und der Schluß eröffnet uns den Hinblick auf eine ganze Odyssee von Seefahrten.
Zu Nr. 47, Vom Schneider Hosenblank, vergl. bei Grimm „Das tapfere Schneiderlein“, I, Nr. 20; bei Meier „Das tapfere Schneiderlein“, Nr. 37; bei Bechstein „Vom tapfern Schneiderlein“, S. 5.
Nr. 48, Der König von Papierland und von Kummerland, und Nr. 49, Der gelehrige Dieb (womit vergl. bei Wolf „Hanskühstock“, S. 397; bei Meier „Der kluge Martin“, Nr. 55), sind Räubermärchen, wobei ich bemerken will, daß der nämliche Knabe aus Sieber, der vom „Dicken Christoffel“ und auch vom „Zwergengroßvater Trutram“ berichtete, mir neuerdings [XLI] auch ein Räubermärchen erzählte, welches fast Alles, was ich sonst einzeln an Räubermärchen gehört, wie ein großes Epos in sich vereinigte. Der Held war ein Schneidergeselle, welchem in echter Märchenweise vom Räuberhauptmann drei Aufgaben gestellt werden, wie denn überhaupt die alterthümliche Dreizahl immer wiederkehrte. Uebrigens konnte ich davon nur zwei kleine Züge zur Ergänzung von Nr. 48 und auch vom Märchen Nr. 47, Schneider Hosenblank, benutzen.
Der Anfang von Nr. 50, Vom langen Winter, auch in Gibelhausen's „Mansfelder Sagen u.s.w.“ metrisch und im Dialekt erzählt; der Schluß bei Meier, Nr. 20, „Der Himmelsreisende“, wozu man auch dort die Anmerkung S. 303 und 304 vergleiche. Unserm ganzen Märchen entspricht: „Bauer und Bäuerin“, bei Zingerle, Nr. 14.
Nr. 53, Der strenge Mann, ist dem Inhalte nach ein Seitenstück zu Shakspeare's Lustspiel „Die gezähmte Widerspänstige“. Wie dort, so straft auch hier der Mann scheinbar ein anderes Wesen (hier ein Thier, dort die Diener) für die böse Frau, um sie zu bessern, und das Märchen ist insofern viel feiner als das ungeschlachte, aber großartige Märchen vom Zornbraten bei Bechstein.
Nr. 54, Die drei messingenen Becken, bei Meier „Die drei Schwestern“, Nr. 12.
Nr. 56, Zu Ranze Tanze, ist nach einem ungedruckten plattdeutschen Volksliede ausgearbeitet, und Nr. 57, Der Lorberbaum auf der Haide, eine sich dem Volksliede nähernde Tradition, welche mir aufgeschrieben mitgetheilt ist. Von anderer Seite ist mir auch statt des Lorberbaumes ein Birnbaum genannt, und so findet sich das Märchen nun auch, jedoch immer noch abweichend [XLII] und am Schlusse des Wunders ganz entbehrend, bei Meier Nr. 84.
Nr. 61, Die Kaufmannsfrau als Oberst, scheint eine sehr verbreitete Tradition zu sein, und wurde vor Jahr und Tag, jedoch ungleich moderner, auch als fliegendes Blatt, betitelt „Die schöne Caroline als Husarenoberst“ gedruckt; Karl Immermann führt diesen Titel im „Münchhausen“ unter den Liedern und Geschichten an, welche der „Patriotenkaspar“ auf seinem Leierkasten verkauft. Nach dem fliegenden Blatte, welches wahrscheinlich eine einfache historische Notiz aus neuerer Zeit zu dem weit ältern Märchen hinzutrug, wenn nicht diese Verbindung vorher durch den Mythus selbst vollzogen war, ist die schöne Caroline aus dem Elsaß, kämpft unter Napoleon gegen ihr deutsches Vaterland, und das Wiedererkennen zwischen ihr und ihrem Manne findet in Magdeburg statt. Eine dritte, gleichfalls ganz abweichende Aufzeichnung dieser Ueberlieferung findet man in Wolf's „Hausmärchen“ mit der Ueberschrift: „Der Pfiffigste“. (S. 355.) Uebrigens hat auch Boccaccio die Geschichte (Ortlepp's Uebersetzung, S. 208-225). Dort verliert Bernabo aus Genua durch den Betrug des Kaufmanns Ambroguiclus, welcher der schlafenden Frau eine Börse, ein Kleid, einen Ring und einen Gürtel nimmt, sein Vermögen in der Wette, und gibt dort sogar den Befehl, seine unschuldige Frau zu ermorden. Sie entkommt, und dient in Männerkleidung dem Sultan, entdeckt den Betrüger, und veranlaßt Bernabo, nach Alexandrien zu kommen. Die in unserm Märchen vorkommende Scene mit ihrem Sohne, die zweite Eifersucht des Mannes und die so alterthümliche Verkleidung der Magistratspersonen in die Frau und die Töchter des angeblichen Obersten finden sich weder bei [XLIII] Boccaccio noch bei Wolf, bei welchem Letztern die Dame Regimentsarzt wird.
Die zweite Abtheilung von Nr. 62, Die hochmüthigen Mädchen, ist der kurze Inhalt eines Stückes, das in diesem Jahre in einer Kunstbude auf dem Schützenhof zu Klausthal gespielt wurde. Die Unbehülflichkeit des Machwerks und die zahllosen Sprachfehler zeigten, daß die ganz märchenartige Geschichte wol erst vom Inhaber der Bude selbst dramatisirt war. Nur der Aufzug des Lumpensammlers und seiner Frau zum Schluß erinnerte etwas an Raymund's Aschenmann.
Der ersten Abtheilung von Nr. 63, Die Trommelschläger vom alten Fritz, entspricht bei Grimm „Das Bürle“, I, 61, doch sind beide Erzählungen vollkommen selbständig. Auch wird in „Der alte Hildebrand“ bei Grimm II, Nr. 95 ein Einsiedler der Verräther der Liebe zwischen einer Wirthin und einem katholischen Pfaffen, indem er den Wirth zum Augenzeugen macht und dieser den Pfaffen aus dem Hause prügelt. Bei Meier, Nr. 41, entdeckt „der Müller Hillenbrand“ ohne fremde Hülfe den Verrath des Pfaffen und der Frau, die den Müller verreist glaubte. - Zur zweiten Abtheilung von Nr. 63 vergl. die beiden unter Nr. 62 mitgetheilten Märchen. Das Thema ist insofern verschieden, als hier nicht wie in Nr. 62 wirklicher Hochmuth der Geliebten bestraft wird, sondern nur das soldatische Selbstgefühl einen Triumph feiert.
Die von hier an noch folgenden Märchen sind später zu der Sammlung hinzugekommen und würden sonst zum Theil in ihr an andern Stellen ihren Platz gefunden haben.
Nr. 64, Der Zaunkönig und die Hühnerwieke (welcher auch der Grimmer genannt wird), [XLIV] weicht nur durch die Hühnerweihe von dem Grimm'schen Märchen vom Zaunkönig ab; ich zeichne es ausnahmsweise trotz dieser nur geringen Abweichung auf, weil es in unserer Gegend gleichsam aus einer andern Tonart, in einer andern Melodie geht als bei Grimm. Wer jemals neben einem niedersächsischen Dorfe die Hühnerweihe fliegen sah, wird sich durch diese Wendung eigenthümlich angeheimelt fühlen.
Zu Nr. 65 vergl.: „Der goldene Hirsch“ bei Wolf, S. 73, und „Der lustige Ferdinand oder der Goldhirsch“ bei Meier, Nr. 54. Letzterer deutet das Märchen in der Anmerkung S. 311-313 vortrefflich als entstanden aus einem alten Göttermythus von Freirs Brautwerbung. Dabei ist freilich wesentlich, daß der Hirsch von Gold ist. Das Märchen erscheint bei uns unvollständiger und zu einer einfachen Erzählung abgerundet, der Trompeter hat sich bereits mit der Prinzessin verständigt und sucht auf so einfache Weise als möglich zu ihr zu gelangen, auch ist er sonst kein Abenteurer und konnte somit das Geld zu dem goldenen Hirsche nicht mehr aufbringen. Bei Meier macht der Goldhirsch von selbst Musik, ebenso bei Wolf, bei uns muß der Trompeter darin Musik machen, die aber, wenn die Meier'sche Deutung des Märchens richtig ist, immer noch an „eine uralte Sage von dem Klange der auf- und niedergehenden Sonne“ erinnert. Auf den ersten Blick wird man nichts eigentlich Mythisches an dem Märchen gewahr, es ist aber nur rationalistisch umgemodelt, der Gott wird zum Stabshornisten, und aus der Trompete erklingt die Sphärenmusik: Grund genug zur Bestätigung Dessen, was wir oben über die Abschwächung älterer Mythen und die theilweise Wichtigkeit selbst der Schwänke angedeutet haben.
Nr. 67, Die Springwurzel und das Lichtchen, [XLV] ist aus zwei Varianten zusammengestellt, wovon die ausführlichere mir durch W. Bernack aus Osterode schriftlich mitgetheilt war. Die kürzere schloß damit, daß der Soldat den König, welcher in dieser Fassung der alte Fritz war, in der königlichen Schatzkammer umhergeführt hat, worauf der ihn großmüthig zum General macht. Da demnach der alte Soldat wieder dem alten Fritz gedient hätte, so ist es merkwürdig, daß auch in der weiter fortgeführten osteröder Fassung ein Zug vorkommt, der auch sonst ähnlich von den alten Soldaten aus dem Siebenjährigen Kriege überliefert wird. Der alte Soldat nimmt nämlich bei Gelegenheit seinen Stock als Gewehr und exercirt damit in Reihe und Glied, als er an einem Regimente vorbeikommt. Vergl. dazu, was in meinen „Abendunterhaltungen“ in Franz Hoffmann's „Illustrirtem Volkskalender für 1852“, und in meines Vaters „Chronik von Hornhausen“ (1850) S. 160, über die alten preußischen Soldaten aus dem Siebenjährigen Kriege gesagt ist. Vergl. übrigens unsere Märchen Nr. 10 und 11, sowie für den Anfang: bei Grimm Nr. 116, „Das blaue Licht“. Ueber die Springwurzel, über welche Grimm's „Mythologie“ verglichen werden kann, sowie über Anderes aus dem Gebiete des Aberglaubens, das gleichfalls zur Bereicherung benutzt wird, werden meine Sagen sehr Vieles enthalten.
Nr. 68, Ein Windbeutel legt das Kartenspiel von einer guten Seite aus, welches ich schriftlich erhalten habe, wird wol in derselben Form abschriftlich in den Kasernen von Hand zu Hand gehen, wenigstens spiegelt es auf eine merkwürdige Weise den listigen Charakter des Soldaten vom alten Schlage wieder.
Der Zug von Nr. 69, Das harte Herz, von Jemand wegen des durch den Hund herbeigeführten Misverständnisses [XLVI] aufhört zu essen, findet sich auch bei Meier, Nr. 52, „Hans holt sich eine Frau“.
Zu Nr. 70, Die diebische Spinnstube, vergl. Nr. 16-26, und die obige Bemerkung zu diesen Märchen, sowie zu dem Verhalten des Teufels unter dem Birnbaum den Ausruf „Hei kucket, hei kucket“ bei Kuhn und Schwarz in der 217. Sage: „Hexen in Gittelde“.
Zu Nr. 71, Teufelslohn, vergl. bei Grimm Nr. 100, „Des Teufels rußiger Bruder“, auch bei Zingerle Nr. 18, „Starker Hansel“, am meisten aber entspricht bei Meier Nr. 74, „Der Knabe, der zehn Jahre in der Hölle dient“.
Zu Nr. 72, Die Barbiermühle, vergl. unsere obige Bemerkung zu Nr. 3, sowie die Märchen bei Meier Nr. 45, „Der Klosterbarbier“, und bei Zingerle Nr. 17, „Der Krämer“.
Nr. 73, Der Student am Halfter, ist aus dem Halberstädtischen und mir von meinem Vater erzählt. Es liegt wol die Erinnerung an eine wirkliche Verwandlung in einen Esel zu Grunde. In der 17. Sage von Kletke's „Rübezahl“ verkauft ein Armer einen wirklichen Esel (wie es scheint, Rübezahl selbst) an einen Müller, und als der ihm Futter bringt, sagt der Esel: „Ich fresse kein Heu, sondern lauter Gebratenes und Gebackenes.“
Nr. 74, Das Viertel vom Wirth, liegt ein ähnlicher Gedanke zu Grunde, wie bei dem „Kaufmann von Venedig“.
Nr. 76, Das Schiff, das auf dem trockenen Lande geht, war mir ursprünglich nur unvollständig mitgetheilt, und da es mir lange nicht gelingen wollte, die Ergänzung zu erhalten, Kuhn und Schwarz aber S. 331-334 es gleichfalls nach einer oberharzischen Tradition [XLVII] mittheilen, so vereinigte ich, um die oberharzische Ueberlieferung davon nun vollständig zu geben, das dort gedruckte und das mir mündlich mitgetheilte Märchen zu einem Ganzen. Während des Druckes dieser Sammlung fand ich aber in dem sehr sagen- und märchenreichen preußischen Städtchen Sachsa am südwestlichen Harzrande unverhofft ein Märchen vom „Schiff, das über Berg und Thal geht“, worin nicht allein der jüngste, sondern auch die beiden ältern Brüder von dem Männchen Schiffe erhalten, von denen sich das eine, als sie nach Hause kommen, als ein Backtrog und das andere als ein Schweinetrog erweist. Nachher geht das Märchen dann noch in die bekannte Geschichte von dem Horcher u.s.w. über. - Zu dem Märchen, wie es im Texte vorliegt, vergl. bei Meier Nr. 31, „Das Schiff, das zu Wasser und zu Lande geht“. Bei Kuhn und Schwarz wird nur verlangt, daß das Schiff weder Pflock noch Nägel habe. Ich verweise wegen des Schiffs, das auf trockenem Lande geht, auf J.W. Wolf's Untersuchungen über Nehalennia in den „Beiträgen zur Mythologie“, I, 149-160, und mache aufmerksam auf das Feld, wo in der mir fragmentarisch auf dem Oberharze mitgetheilten Fassung des Märchens das Männchen jedesmal erscheint, und welches zu der aus Kuhn und Schwarz entnommenen Stiege Leinwand, auch wol zu dem Gerstenkorn (mit dem vielleicht auch der Backtrog in der oben erwähnten sachsaer Fassung zu vergleichen wäre) vortrefflich zu passen scheint. Der von Wolf herbeigezogene Ausdruck aus Cortryk: Wanne Thekla spielt (bei ungestümem Wetter) ihre Rolle, erinnert an das unverständliche Wanne in einem Wiegenliede, welches auch Otmar in seinen „Volkssagen“ (1800) kennt und für mythologisch [XLVIII] wichtig hält, und das ich selbst als Kind im Magdeburgischen folgendermaßen singen hörte:
Hulder de Bulder de Wagen will weg,
De Peerekens sind verdrunken,
Twischen Stemmern un Barendörp[2]
Wol in den deipen Sumpe.
Wanne wie weene Rütersknecht!
Wanne wie flauke de Junke!
Das noch jetzt gebräuchliche „Hulderdebuller“ in jenem Wiegenliede erinnert ganz dunkel an den Namen der Holle, ohne daß man hierauf das geringste Gewicht legen könnte, bestimmter aber wol das Versinken des Wagens und der Pferde im Wasser an die Göttin Nerthus (Jakob Grimm, „Deutsche Mythologie“, S. 234), zu welcher auch die Ackerknechte recht gut passen möchten. Zu „Wanne“ ist wol kaum zu vergleichen das Wort „Wenne“, welches bei dem in der Bemerkung zu dem Märchen Nr. 2 angeführten Kinderreime vorkommt, wo es sich gleichfalls um einen rasch aus dem Gesicht verschwindenden Wagen handelt.
Nr. 78, die rothe Fahne und der Ring der Königstochter, entspricht bei Wolf S. 243, „Des Todten Dank“, und bei Meier Nr. 42, „Der Sohn des Kaufmanns“; bei Beiden ist das Märchen jedoch weniger poetisch und auch weniger vollständig als hier.
Noch einige gedrängte Nachträge füge ich dem vorstehenden Vorworte hinzu. Zu dem schlesischen Märchen in der zweiten Abtheilung von Nr. 30, Die Männchen und die Bauernsöhne, wurde mir noch eine Variante aus Sachsen bekannt, die sich mehr dem Bechstein'schen Märchen „Der Hirsedieb“ nähert; zu Nr. 7, Soldat Lorenz, eine Variante [XLIX] aus Förste bei Osterode, worin der Teufel vorkommt und Bäume zu den Jungfrauen in Beziehung zu stehen scheinen. Zu Nr. 27, Die Geschenke der Klagefrau, vergl. Bechstein's „Deutsches Sagenbuch“ (1852) Nr. 303, wo die Klagefrau vorkommt, aber wieder etwas Anderes bedeutet. - Zu Nr. 51, Frauenlist über alle List, soll sich eine Variante in Wigand's Volkskalender für 1853 (wol von Karl Simrock) finden. - Der Zug in Nr. 8, daß einer Jungfrau die Kleidung (Schwanenhemd) genommen werden muß, verräth die Valkyrie. - Die kunstreichen Flügel, welche in Nr. 4, Der Jäger über alle Jäger, ein Handwerker verfertigt, erinnern an das selbstgefertigte Federkleid, mit dem der Schmied Wieland davonfliegt. - Zu Nr. 14 und Nr. 30 sowie zu den betreffenden obigen Bemerkungen dazu vergl. die Zusammenstellung über Männchen und Zwerge, besonders mit Rücksicht auf ihre Farbe, bei W. Müller „Geschichte und System der altdeutschen Religion“ (1844) S. 331. - Zu dem König der Todten in seinem Schloß in Nr. 8 vergl. was ebenda S. 390-394 über Odhinn, Niflheimr und Valhöll gesagt ist; sowie zu dem eigenthümlichen grünen Platz in der Hölle in Nr. 25, Die Verächter des Heiligen, ebenda S. 399 und 400. - Die Geschichte von dem Geiste, der dadurch erlöst werden kann, daß Jemand die Hälfte eines Schatzes an die Armen gibt und die andere für sich behält (Nr. 27, Die Barbiermühle), ist auch in der Schweiz bekannt. Jeremias Gotthelf erzählt sie in der „Sage vom Meyer auf der Mutte“ (dessen „Erzählungen und Bilder“, 3. Band, 1852, wo sich auch in einem frühern Bande die Erzählung von den in Raben verwünschten Kindern findet). Wenn dort die Pointe darin besteht, daß von dem dem Erlöser zufallenden Gelde kein Kreuzer unnütz verausgabt [L] werden darf, so ist das vielleicht ein Zusatz von Gotthelf; es widerspricht dem Geiste des Volksmärchens, daß an den Schatz, den Jemand als Erlöser gewinnt, hinterher noch gefährliche Bedingungen, die sein Glück und seine Freiheit hindern können, geknüpft sind, wiewol allerdings das Märchen, wenn es wie hier zur Ortssage wird und dadurch der Wirklichkeit näher tritt, in der Regel eine tragische Schlußwendung erhält. - Zu S. XVII des Vorworts, namentlich zu dem dort angehängten Worte „Schnitzerchen“, ist noch das verwandte „Schnittchen“ (von Schneiden, Aufschneiden), namentlich für Anekdoten, die nicht recht glaublich sind, nachzutragen.
3. November 1852.
[LI]
[LII]
[LIII]
79. | Die Schlacht der armen Söhnlein gegen die reichen | 247 |
80. | Eisenbahnmärchen | 249 |
81. | Weihnachtsmärchen | 252 |
- ↑ Die Vorrede zur sechsten Auflage der beiden ersten Bände der Grimm'schen Sammlung (1850) ergänzt, was im hoffentlich nun bald neu aufgelegten dritten Bande derselben (2. Aufl. 1822) zur Geschichte und Literatur des Märchens zusammengestellt ist; ein kürzerer Aufsatz von L. Bechstein über das Märchen und seine Behandlung in Deutschland findet in der „Germania“, 2. Band, S. 316-328, und eine vortreffliche culturhistorische Studie über die Gesetze, nach denen die Handlung im deutschen Volksmärchen vorschreitet, und über dessen Sittlichkeit in Nr. 16 der Zeitschrift „Die Grenzboten“ von 1852. In der Einleitung seiner vortrefflichen „Beiträge zur Mythologie“ (1. Band, 1851) weist J.W. Wolf im Märchenschatz unsers Volkes seinen alten Mythenschatz nach. Von demselben erschien auch soeben „Die deutsche Götterlehre, ein Hand- und Lesebuch“, hauptsächlich nach Jakob Grimm's über jedes Lob erhabener „Deutscher Mythologie“ (2. Aufl., 1844).
- ↑ In der gesegneten, fruchtbaren Magdeburger Börde.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: dentschen