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wollte sie sich anfangs das Leben nehmen, wurde aber durch gute Leute getröstet, und auch die Herrschaft that dem Mädchen nichts, weil es immer treu und redlich gewesen war. Auch verschmerzte die Herrschaft nach mehrern Jahren den Verlust ganz und gelangte wieder zu schönem Wohlstande.

Nun kam aber nach Jahr und Tag das Mädchen einmal in ein anderes Wirthshaus, da saßen an der Tafel herum mehrere Männer und spielten Karten. Als sie das Mädchen sahen, begann der Erste zum Zweiten: „Was ist der Mensch?“ und so sagte immer Einer nach dem Andern zu seinem Nachbar: Was ist der Mensch? Das Mädchen besann sich, daß es dies an jenem Abend gesagt hatte, kam nach Hause und erzählte Alles seinem Herrn, und auch ihm war es sogleich klar, daß dies die Räuber gewesen seien, die ihn vor Jahr und Tag bestohlen hatten, und er zeigte Alles der Obrigkeit an. Sogleich wurden mehrere Mann Wache hingeschickt, und die Räuber ergriffen und gekoppelt. Sie mußten nun Alles bekennen, auch wo ihre Räuberhöhle war, und darin fanden sich so viele Schätze, daß die Herrschaft Alles, was sie in jener Nacht verloren hatte, in Gelde wieder erhielt, die Magd eine reichliche Belohnung als Heirathsgut bekam, und noch Vieles an die Armen verschenkt werden konnte.

Wenn die Leute bei Seesen aber am Galgen vorbeigingen, dann krächzten die Raben: Was ist der Mensch? und dazu flogen die Armensünderleichen der Diebe im Winde.

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_129.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)