Seite:Proehle Kinder- und Volksmaerchen 188.jpg

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größte Noth bei seiner Löhnung, und so diente er dem Herrn Wettford, wie der Oberst sich nannte, so treu und redlich, wie wol nicht leicht ein Bediente seinem Herrn gedient hat. Dieser Herr Wettford aber ist Niemand anders gewesen als des Kaufmanns Frau. Aus Mitleid, weil der Fremde nach ihr geschossen hat, hat ihr der Löwenwirth das Geld eingehändigt, das der in der Eile auf seinem Zimmer hat zurücklassen müssen. Weil nun durch diesen Schuß in der Stadt aller Augen auf die Frau gerichtet sind, so ist sie aus der Stadt fortgezogen, hat sich und ihren Sohn von dem Gelde in aller Stille vollständig militärisch gekleidet und ist mit ihm in ein Regiment eingetreten. Mutter und Sohn gelangten nun in jener Kriegszeit zu hohen militärischen Ehren und nur der Mann, den sein Unglück ganz niedergedrückt hatte, war indessen gemeiner Soldat geblieben. Diesen hatte die schöne Kaufmannsfrau, wie sie ihn als Soldaten sah, sogleich erkannt; denn es war ihr schon, nachdem er auf sie geschossen hatte, deutlich geworden, daß das ihr Mann gewesen sei, der über den Kuß, welchen sie ihrem Sohne auf der Straße gegeben hatte, eifersüchtig geworden war. Der Kaufmann aber erkannte seine Frau in dem Obersten nicht wieder, und der verlangte eines Tages von seinem Burschen, daß er ihm seine Lebensgeschichte erzählen solle. Da erfuhr sie erst, wie der Wirth zum Rathskeller ihre Tugend verleumdet hatte, und beschloß sogleich ihre Unschuld zu beweisen und sein Vermögen aus den Händen des Betrügers zu retten.

Um diese Zeit war auch der Krieg zu Ende. Da nahm der Herr Wettford seinen Urlaub und reiste mit seinem Burschen in die Stadt und versprach ihm, jetzt auszukundschaften, ob seine Frau wirklich gegen ihn untreu gewesen oder ob der Wirth zum Rathskeller ihn betrogen habe.

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_188.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)