Da mußte der Graf in den Spiegel sehen und schaute Genovefa, wie sie gar unschuldig neben dem Koch Dragones stand.
„Ist nichts Unrechtes,“ sagte der Pfalzgraf.
„So wollen wir sehen, ob es vielleicht Gott gefällt, ein Mehreres zu zeigen,“ sprach die Heuchlerin.
Sie wiederholete nun zu mehreren malen ihre schändlichen Zauberkünste und machte dem edlen Pfalzgrafen endlich ein solches Blendwerk vor, daß er vor Wut schäumte und befahl, Golo solle nach Trier voraus reiten und ehe sein Herr dort seinen Einzug halten würde, Genovefa sammt ihrem Kinde hinrichten lassen.
Da jagte der böse Hofmeister nach Trier, wagte aber wiederum nicht, die Pfalzgräfin öffentlich hinrichten zu lassen. Als er sich mit seiner schändlichen Amme beriet, wie er die edle Genovefa mit ihrem Knäblein vom Leben zum Tode bringen wollte, hörte ihn das kleine Töchterlein dieses bösen Weibes, welches der armen Genovefa mehr ergeben war als der eigenen gottlosen Mutter.
Dieses kleine unschuldige Mägdlein verfügete sich sogleich zu Genovefas Kerker, stellte sich vor das Fenster, dadurch man das Brot und das Wasser hineinreichte und weinete so bitterlich, daß die Gräfin davon erschreckt wurde. Sie fragte das Mädchen, warum es so weine. Da erzählte das Kind alles. Die Gräfin aber wehklagte, und als sie wieder etwas ruhiger geworden war, so ließ sie sich von dem Mägdlein aus ihrem Zimmer etwas Feder, Dinte und Papier bringen. Da schrieb sie einen Brief an ihren Gemahl, berichtete ihm Alles und ließ ihn von dem Kinde wieder heimlich auf ihr Zimmer tragen, wofür sie sich von ihren Kleinodien nehmen sollte, so viel als sie nur möchte.
Die ganze folgende Nacht brachte Genovefa im eifrigen Gebete zu und befahl Gott ihr Leben und ihr Sterben. Des Morgens früh berief Golo zween seiner getreusten Diener, eröffnete ihnen den ernstlichen Befehl seines Herrn und befahl ihnen die Gräfin sammt dem Kindlein in einen Wald hinauszuführen und zu töten und zum Zeichen des vollbrachten Befehles ihre ausgestochenen Augen und Zunge mitzubringen.
Die Diener nahmen den Befehl billiglich an, gingen alsbald zu der Gräfin in das Gefängnis, legten ihr ein schlechtes Kleid an, bedeckten ihr
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/163&oldid=- (Version vom 1.8.2018)