Um sich im Schreiben zu üben, war der Kaiser in der Nacht aufgestanden. Dabei hatte er den ersten Schnee dieses Winters auf dem Königshofe gesehen. Er war an’s Fenster getreten, um ihn zu betrachten. So war er auch der Augenzeuge von Emma’s Aufopferung für Eginhard geworden.
König Karl war von dem, was er gesehen hatte, erschüttert.
Gegen 8 Uhr Morgens pflegte er seine Räte zu versammeln. Auch Eginhard befand sich unter ihnen.
Der König sprach diesmal zuerst von einem unerhörten Ereignisse. Er erzählte, was er beim ersten Morgengrauen gesehen hatte und fragte Eginhard, welche Strafe dem Manne gebühre, der sich ein solches Vergehen zu Schulden kommen lasse. Eginhard fiel ihm zu Füßen und sagte: den Tod.
Aber schon drang Emma in das Gemach, kniete neben ihm nieder und beichtete unter vielen Thränen Alles, was der Bischof gethan und was Eginhard hatte verschweigen wollen.
König Karl atmete tief auf.
„Der Abt von Corvei ist brav“, sprach er, „Gott segne seinen Eintritt in sein Bistum zu Lüttich! Aber wiedersehen will ich ihn nicht!“ Es entstand eine beängstigende Pause. Nach dieser fuhr König Karl fort:
„Was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden. Darum sollt auch Ihr nicht getrennt werden von einander. Nur von mir habt Ihr Euch selbst geschieden. So soll denn der Rhein hinfort zwischen uns liegen. Im Odenwald, wo wir uns so oft an der Jagd erfreuten, mögt Ihr leben und sterben. Mir aber habt Ihr den Königshof zu Ingelheim verleidet. Bald nach Euch verlasse ich diesen Hof, diese Gärten und diese Weinberge. Zu Aachen will ich mein Leben beschließen.“
Der Kaiser hielt Wort.
Er begann neue mächtige Bauten zu Aachen. Besonders stellte er die herrliche Liebfrauenkirche dort her. Für diesen Bau ließ er aus Italien nicht nur den Marmor, sondern ganze Marmorsäulen kommen. Da sein Ruhm immer mehr wuchs, so wurden sie ihm willig von dem obersten Bischof, dem Papste, gesandt.
Jemehr Kaiser Karl allmählig eine friedliche Wirksamkeit entfalten
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/56&oldid=- (Version vom 1.8.2018)