Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 1.djvu/92

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O! Freund meiner Seele, daß deine Bescheidenheit mir nicht in den Weg trete, indem ich die Natur der wahren liebenden Anhänglichkeit durch einen Rückblick auf unsere Verbindung zu entwickeln suche! Ich fühle alles, was ich durch die Vereinigung mit dir gewonnen habe und noch täglich gewinne! die Veredlung meines Charakters, die Erhöhung über mein niedriges Ich; – den Stolz, Dir vor den Augen der Edlen anzugehören, von Dir geachtet, von Dir gebilligt und geliebt zu werden; – sogar die Freude, daß ich es bin, der Dir Freude machen kann; – kurz, eine Menge eigennütziger Wonnegefühle und Begünstigungen meiner Selbstheit, deren ich mir wohl bewußt bin, an die ich oft erinnert werde, ketten mich an Dich. Aber in andern Augenblicken fühle ich auch deutlich, daß die Vorstellung von Deiner Menschenkenntniß, von Deinem unaufhaltsamen Streben nach Wissen und Erkennen, von Deiner Thätigkeit, von Deiner Aufopferung für die Ausbreitung der Wahrheit, für die Bildung des Menschengeschlechts, – von Deinem lichtvollen treffenden Blick, von Deiner Aneignungskraft der entferntesten Verhältnisse, womit Du verschiedene Zeitumstände der Geschichte, so wie die Lage der Dinge um Dich her, gleich treffend hervorzauberst, gleich richtig beurtheilst; – endlich von jener moralischen Strenge gegen Dich selbst und von Deiner liebevollen Beurtheilung anderer; – ich fühle, sage ich, daß alle diese verschiedenen Vorstellungen von Dir mich oft mit Affekten des Schönen und des Edeln erfüllen. Ich fühle, daß sie mich auch dann damit erfüllen würden, wenn Du mir nicht bekannt wärest, wenn eine bloße Darstellung der Geschichte Dich mir im Bilde eines längst verstorbenen Menschen aus der Ferne zeigte.