Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 2.djvu/119

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Alle Erklärungen, die man bis jetzt vom Reitz oder von der Anmuth gegeben hat, und die größten Theils dahin gehen, den Ausdruck einer freyen physischen Bewegung, oder eines fertigen moralischen Sinnes darin zu finden, reichen schlechterdings nicht zu, die reitzende Schönheit von der ernsten abzusondern. Wir müssen nothwendig den Unterschied darin setzen, daß die reitzende Schönheit auf die Zartheit unsers Körpers und unserer Seele; die ernste hingegen auf unsere Stärke wirke, und daß in gewissen Fällen sogar unsere Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele, heimlich mit ins Spiel komme. Ich habe mich hierüber in meiner Charis bereits weitläuftig erklärt. Es kann aber nicht undienlich seyn, die Sache hier nochmahls kurz zu wiederholen, und wo möglich näher zu bestimmen.

Die Schönheit des menschlichen Körpers wird sehr bequem auf drey Hauptklassen gebracht: auf die ernstere, auf die zärtere, und auf eine dritte, welche eine Mischung von beyden enthält, ein Neutrum abgiebt, und die unterhaltende genannt werden mag. Die ernstere bietet besonders der Körper des reifen Mannes und der Matrone dar: die zärtere der Jüngling und das reifende Mädchen, die unterhaltende hauptsächlich das Kind und der Greis.

Die ernsteren Schönheiten des Körpers zeigen große Massen von Formen; und indem das Auge diese zusammenfaßt, werden dessen Nerven gespannt. Eben diese Körper zeigen eine Stellung, worin die Glieder wenig abwechseln, einen starken Knochenbau, eine muskulöse Völligkeit des Fleisches. Alles dieß wirkt spannend theils auf das Auge, theils auf den innern Anschauungssinn,