Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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Vorschriften mit eigenen Ideen auf neue Ansichten zu gerathen.
Ein Mann von Talent in der edleren und schöneren Liebe wird leicht die Grundsätze auffassen, die in früheren Mustern liegen; er wird sie leicht auf seine Lage anwenden, er wird bald zur Fertigkeit in ihrer Befolgung gelangen, und zuweilen sein Produkt mit Zügen schmücken, die von den frühern Vorbildern nicht entlehnt, sondern in ihrem Geiste gedacht und hervorgebracht sind.
Wer aber schaffenden Genius in seinem Busen trägt, der nimmt aus sich selbst den Begriff und die Grundsätze edler und schöner Liebe; er bedarf keiner Muster, wenig Vorbereitung, wenig Uebung; er stellt sein Produkt als ein neues, vorher unerhörtes Wesen dar, und wenn er der Wahrheit und Zweckmäßigkeit getreu bleibt, so zaubert er Meisterstücke hervor, die dem künftigen Talente wieder zu Mustern der Nachahmung, und zu Quellen ansteckender Begeisterung dienen.
Plato war ein Genie in der Liebe, Petrarca ein Talent.
Der Mann, der sich auf eine kurze Zeit stark anhängen, sich ganz hingeben kann, aber bald, des Verhältnisses überdrüßig, zu neuen Verbindungen, oder zum Zustande der Gleichgültigkeit hineilt: der Mann, der einer kleinlichen Eitelkeit huldigt, oder in träumenden Schwärmereyen sein Leben hinempfindelt, ein solcher
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/167&oldid=- (Version vom 1.8.2018)