Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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Es ist kaum zu erwarten, daß der Jüngling diejenige Festigkeit des Charakters besitzen könne, die zur Gründung des männlichen Wesens in der vereinigten Person erfordert wird. Nur der reife Mann scheint wahren Anspruch auf eine Liebe machen zu können, welche die Forderungen der Vollkommenheit ausfüllt.
Mir ist es lächerlich, wenn man Jünglingen, die kaum das Knabenalter verlassen haben, einen Anspruch auf edle Liebe einräumen will. Wenigstens wird dann das Wort in einem sehr laxen Sinne genommen.
Verbindungen zwischen Personen, die dem Körper nach häßlich oder indifferent sind, können sehr achtungswerth, sehr edel, ja, in so fern wir bloß auf den Ausdruck der Seelenvereinigung Rücksicht nehmen, von einer gewissen Seite schön seyn. Aber nie wird man sie als Vollkommenheit einer eben so wohl aus Körpern als Seelen zusammengesetzten Person mit Wonne anschauen können.
Alle Romandichter, die uns vollkommene Liebe dargestellt haben, haben die Liebenden schön von Körper dargestellt, und das mit Recht.
Wir denken uns die liebende Person als ein aus zwey Körpern und aus zwey Seelen zusammengesetztes Ganze. Ist uns dieß gegenwärtig, oder erscheint es uns in einem körperlichen Bilde; wie läßt sich die Aufmerksamkeit allein auf das Geistige der Vereinigung richten? Es ist allemahl ein Mißverständniß zwischen den Theilen,
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/169&oldid=- (Version vom 1.8.2018)