Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 2.djvu/189

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Dreyzehntes Kapitel.
Talent und Genie in dem liebenden Weibe.

Das Talent der Weiber in der Liebe ist der feine Anschlag, der nichts von demjenigen verloren gehen läßt, was die zärtliche Verbindung zweyer Herzen Edles und Schönes mit sich führt; jene Gabe aus ihrer Tiefe neue selbstgefühlte Vorzüge hervorzuholen, und ihre Form mit immer neuen Reitzen zu schmücken. Es giebt nicht viel Weiber, die dieß Talent besitzen. Aber diejenigen, die es haben, vermehren den Genuß der Liebe ins Unendliche. Die geringste Aufmerksamkeit die ihr für sie habt, jede Wendung die ihr braucht, eure Liebe auf eine feine Art darzustellen, jede Bemühung, sie zu veredeln und zu verschönern, wird von ihnen zum Voraus geahndet und ganz gefühlt. Nicht das allein; sie bemächtigen sich des Stoffs, den ihr ihnen darbietet, und liefern ihn euch wieder mit einer Bearbeitung, die an Werth die Materie übertrifft.

Es giebt auch Genies in der Liebe unter den Weibern. Heloise und du portugisische Nonne, wem fallen nicht hierbey eure Briefe ein! Der schöpferische Geist ihrer Urheber sichert ihnen eben so sehr die Verehrung, als der wahre Ausdruck der Liebe. Auch euch, Sappho und Ninon, würde ich hier nennen, wenn eure Originalität mit edler Liebe in näherem Bande gestanden hätte.

Weiber, die Talent oder Genie in der Liebe haben, haben es beynahe in allen Fertigkeiten und Künsten, die zur Unterhaltung des geselligen Lebens gehören. Es hängt nicht allein vom Herzen ab; es erfordert eine feine Sinnlichkeit, Phantasie, Scharfsinn und andere