Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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ausdrückt! Die bloßen Benennungen, welche sich die Geliebten einander geben, machen ein eigenes Wörterbuch unter ihnen aus, und nicht zufrieden, aus der wirklichen Welt die Bilder ihrer Wesenverwebung zu entlehnen, eröffnet sich für sie ein neues Reich von Chimären, worin Erscheinungen, Vorgesichter und Träume der Lebhaftigkeit ihres Ausdrucks zu Hülfe kommen!
So hat jedes Symptom, das von einem innigst nach Vereinigung strebenden Herzen zeugt, ein unmittelbares Anrecht auf Wichtigkeit und Unterhaltung. Einen so umständlichen und zugleich so unterhaltenden Annalisten, als die Liebe, giebt es nicht. Sie bewahrt genau auf den glücklichen Tag, und die glückliche Stunde, und den glücklichen Ort, wo sich die Liebenden zuerst gesehen haben. Ihre Zwiste, ihre Aussöhnungen, ihre glücklichen und unglücklichen Augenblicke, sind Epoquen, Revolutionen in der wichtigsten unter allen Geschichten, in der Geschichte ihrer Herzen. Sie ist aber auch die kühnste Prophetin, diese Liebe! Welche Ahndungen, welche Erwartungen, welche Gewißheit, hat sie nicht von einer Zukunft, in der die Verbündeten ganz vereinigt jeder Störung des Schicksals, jedem Einflusse der Zeit, in ungetrübter Seligkeit trotzen werden!
Man hat Recht zu sagen, Liebe spreche immer von sich selbst! Liebe sey der größte aller Egoisten. Sie spricht von dem vereinten Selbst, sie führt alles auf das gepaarte Ich zurück.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/302&oldid=- (Version vom 1.8.2018)