Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 2.djvu/64

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Eilftes Kapitel.
Einfluß des Standpunkts, aus dem wir beschauen, auf unser ästhetisches Urtheil über die Liebe.

Im Grunde kann die einzelne Gesinnung, der einzelne Ausdruck der Liebe, für ihr Daseyn, für Edelsinn und Sinn des Schönen wenig beweisen. Die leichtsinnigste Buhlerin kann in einem Anfall von Leidenschaft der größten Aufopferungen für des andern Glück fähig seyn; und für ihre Aeußerungen eine reitzende Form finden. Erst dann wird man über das Daseyn wahrer Liebe, des Edelsinns, und des Sinns des Schönen mit Sicherheit urtheilen, wenn man die Person selbst kennt, und sie in ihren liebenden Verhältnissen eine längere Zeit zu beurtheilen im Stande ist.

Freylich wird dann nur selten der Beschauungshang zur Wonne aufgefordert werden. Die Annäherung an die Gegenstände unserer Bewunderung und unserer Schönheitsgefühle pflegt diese gemeiniglich zu endigen. Dichter und Redner wissen dieß, und halten daher die Personen, für die sie uns interessieren wollen, gemeiniglich in einer solchen Entfernung von uns, daß die Phantasie ihr völlig freyes Spiel behält. Sie stellen uns einen König, einen Agesilaus dar, der glücklich im Schooße seiner Familie lebt, und in dem Genusse der Zärtlichkeit die höchsten Freuden seines Lebens findet. Wir nähern uns, und finden einen gewöhnlichen Hausvater, der ganz selbstisch sein Vergnügen in häuslicher Geselligkeit und Zurückgezogenheit von rauschenden Zerstreuungen aufsucht, und übrigens seine Gattin und seine Kinder, als Mittel zu seinem Zweck, gut behandelt. Dieser König bleibt freylich immer schätzungswerth,