Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 2.djvu/66

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

in dieser Welt sinnlicher Erscheinungen ausmacht. Aber eine entfernte Ahndung, ein Bild der Phantasie, kann zuweilen von dieser Vollkommenheit in uns erweckt werden. Am sichersten geschieht dieß da, wo wir einen Menschen seiner Seele nach als ein edles Ganze, seinem Körper nach als ein schönes Ganze zu erkennen glauben: kurz, wo sich Seelenadel mit Schönheit paart.

Der liebende Mensch, oder die Person, die sich mit einer andern zusammenzusetzen strebt, um sich mit einander zu beglücken, kann ein solches ästhetisch edles Ganze in dem Geiste der Verbindung, ein solches ästhetisch schönes Ganze in den Formen derselben ankündigen, wodurch wir ein ähnliches Bild von absoluter Vollkommenheit mit demjenigen erhalten, welches der einzelne Mensch durch seinen Seelenadel und seine körperliche Schönheit in unserer Phantasie erweckt.

Liebe, als Vollkommenheit betrachtet, ist das Ganze einer auf Zärtlichkeit beruhenden Verbindung, das seinem innern Gehalte nach Seelenadel, seiner äußern Form nach Schönheit zeigt.

Von dieser Art waren die Verbindungen, welche die Sokratische Schule empfahl, und wenigstens in ihren Schriften darstellte. Hier strebten die Liebenden, sich dadurch unter einander zu beglücken, daß sie sich das höchste Gut, die Tugend, einander zuführten, und die Aeußerungen ihrer Zärtlichkeit in ästhetisch schöne Formen kleideten. Ihre zusammengesetzte Person bildete ein vollkommenes Ganze als Liebe, weil sie beyde ganz von dem Wunsche, sich wechselseitig zu beglücken, ganz von Edelsinn und Sinn des Schönen durchdrungen waren.