Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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nur das als Grundsatz fest, was mit diesen übereinstimmt. Ihre Zahl ist klein. Kleiner noch die Zahl der Künstler, deren Darstellungen jene Prüfung aushalten. Keiner ist zu einer solchen Vollkommenheit gelangt, wie der Kenner sie ahndend denkt, das Genie sie ahndend in Momenten der höchsten Begeisterung anschaut. Jener ist nicht fähig, seine Gedanken darüber ganz deutlich zu machen: dieser seine Anschauungen zum Genuß für andere klar darzustellen. Begünstigtes Streben nach Annäherung an das Ideal, das der Kenner deutlich, aber theilweise, im Kopfe; der Künstler ganz, aber undeutlich, in der Phantasie mit sich herumtragen; dieß muß für unsere endliche Welt Sinn für Vollkommenheit heißen.
Und so ist es denn auch mit der vollkommenen Liebe! Viele sind, die sie zu kennen glauben, aber wenige sind, die wirklich sie kennen; noch wenigere, die ihr mit Erfolg nachstreben. Es gehören dazu Genie, Talent, günstige Verhältnisse, als Bedingungen, um in jeder geselligen Fertigkeit, in jeder schönen Kunst, als Meister zu erscheinen.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/86&oldid=- (Version vom 1.8.2018)