Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.2.djvu/169

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Liebe; sie nimmt dieß Wort mit in den Begriff auf, den sie uns von dem höchsten Wesen giebt: die Kirchenväter, besonders Augustin, hatten viel über Liebe und Schönheit gesagt; Aristoteles hatte dieser Materie ein eignes Werk gewidmet, und die Araber machten sie zu einem Gegenstande ihrer spitzfindigsten Spekulationen.

Inzwischen scheinen sich diese Untersuchungen der Philosophie wenig mit der Geschlechtsliebe beschäftigt zu haben, die sie für eine schädliche Neigung, und für eine Geburt der Lüsternheit und der Faulheit hielten. Sie betrachteten die Liebe als den Grund des Zusammenhangs der Kreaturen mit Gott und unter sich: als die Aeußerung unserer Reitzbarkeit: als die Wirkung des Nützlichen, Guten, Angenehmen, Schönen auf unser Begehrungsvermögen: Kurz! die Lehre von der Entstehung der Welt, die Lehre vom menschlichen Willen, und ein großer Theil der Physik ward unter dieser allgemeinen Rubrik mit abgehandelt. Besonders aber suchte man mystische Ideen von der Beschauung Gottes und der Vereinigung mit ihm aus der Natur der Liebe herzuleiten, und das Bestreben darnach zur Pflicht zu machen. [1]


  1. Nichts ist in dieser Rücksicht merkwürdiger, als ein kleines Werk des Raymundus Lullius: Blanquernae Anachoretae interrogationes et responsiones 365. de Amico et Amato Raymundo Lullio Eremita auctore claruit circa annum Domini 1311. Libellus omnibus viris spiritualibus non minus jucundus quam utilis Parisiis 1585. Hierin sind für alle Tage des Jahrs kurze Unterredungen zwischen dem Menschen und Gott enthalten, die hier in dem Verhältnisse von Liebhaber und Geliebten erscheinen. Es herrscht der höchste Ausdruck der Leidenschaft darin, und es leidet bey mir keinen Zweifel, daß die Niederwürfigkeit, Zerknirschung, [170] und Selbsttödtung, welche nach den Ideen der Mystiker der höchste Beweis der Liebe gegen Gott ist, auf die Art, wie man die Liebe zum Geschlecht zu veredlen gesucht hat, von dem größten Einflusse gewesen ist.