Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.2.djvu/180

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Liebe dauert nach der Befriedigung des Wunsches nach körperlicher Vereinigung fort, weil ihr Grund nicht in den niedern Sinnen, sondern in der Erkenntnißkraft lag. Man schätzt die Vorzüge der Geliebten, und möchte mit ihr nur eine Person ausmachen, aus zwey Geistern eine Seele zusammensetzen, die einen Körper belebe und regiere. Bey der körperlichen Vereinigung sucht man weniger das sinnliche Vergnügen, als die möglichste Vermischung der Geister, die aus den angenäherten Körpern in einander übergehen.“

„Aber besteht es denn mit der Vernunft, einen solchen Wunsch zu hegen, und einen Andern mehr als sich selbst zu lieben? Freylich! edle Liebe wird nicht von Vernunft geleitet! Sie bereitet große Leiden zu, um so mehr, da die Freuden des Körpers ihr keine Erleichterung verschaffen. Reine Geister können in einander fließen, aber Geister die an Körper gebunden sind, können es nicht, und das macht ihr Leiden aus. Wie kann man aber dasjenige gut heißen, was die Vernunft nicht regiert? Die Antwort ist: es giebt eine doppelte Art von Vernunft: eine gewöhnliche, (ordinaria) die den Menschen lehrt, für sich selbst glücklich zu seyn, und eine außerordentliche (extraordinaria) die uns die Vollkommenheiten des Geliebten anzueignen gebietet. Dieser Zweck ist viel edler. Der Liebende opfert sich auf, um dem bessern Theile seines Selbstes, dem Geliebten, wohl zu thun. Dieß muß bey aller Liebe zum Grunde liegen.“

„Der allgemeine Vater aller Liebe ist das Schöne, ihre Mutter ist die Kenntniß des Schönen, mit dem