Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.2.djvu/21

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Geschichte des Joseph und der Zoleikha im Koran. Alle Weiber, sagen diese Interpreten, verabscheueten das Weib des Potiphar, daß es besonders in dem Range, den es in der Welt behauptete, durch unanständige Liebkosungen die Unschuld eines Cananäischen Knechtes zu verführen suchte. Um seine Schwäche zu entschuldigen, bat es diese Weiber zu sich, und gab jedem von ihnen ein Messer und einen goldnen Apfel zu schälen in die Hand. In dem nehmlichen Augenblicke ließ es aber auch den Joseph vortreten, und alle Weiber schnitten sich, in der Bestürzung über seine große Schönheit, in die Hand. Bey Gott! riefen sie alle, dieser ist kein Mensch; er ist der Schönste unter den Engeln! Zoleikha ward entschuldigt. [1]

Es läßt sich nach Allem, was ich angeführt habe, nicht glauben, daß die Liebe, so wie sie in diesem Romane vorkommt, rein von Sinnlichkeit gewesen sey. Schon Plato leitete den körperlichen Vereinigungstrieb aus dem Zuge zur Gottheit her. Bey dem Orientaler liegt aber zwischen dem Mysticismus und der Sinnlichkeit noch weniger Widerspruch. Ueberall findet man bey ihnen, wenn ich so sagen darf, Spuren einer verkörpernden Phantasie, einer Vergeistigung der materiellesten Dinge. Die deutsche Bibliothek der Romane [2] liefert einen Auszug aus dem Romane des Megnun und der Leileh, nach der Uebersetzung des Cardonne. Ich kann nicht beurtheilen, in wie fern er mit dem Originale übereinkommt. Aber er bestätigt völlig meine angegebene Vermuthung. Es ist ein wahrer Liebesroman,


  1. Gentii Speculum politicum. Lipsiae 1673. S. 352.
  2. Im zweyten Theile. S. 223.