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Ludwig Rellstab: Empfindsame Reisen: Nebst einem Anhang von Reise-Berichten, Skizzen, Episteln, Satiren, Elegien, Jeremiaden, usw., Band 2

Reise-Jeremiade.

Kissingen heiße mein Klagelied. Heil denen, welche fern von einem Badeorte bleiben können, denn sie sind fern von der langen Weile, fern von dem kahlen, schalen Treiben der vornehmen Welt, und vielleicht, was ich aber als das Geringste nenne, fern von Krankheit. Ein Badeort wie Kissingen gleicht der Boa, die sich den Leib so voll schlingt, daß sie sich nicht regen kann, und dann einen Monat verdaut und hungert. Drei Monate im Jahre geht es den Kissingern so. Russen, Polen, Franzosen, Engländer, die meisten von nobler Race, stopfen das Nest so voll, daß Dachkammern auf den Werth der Prachtsäle kommen, und die Kissinger selber nicht viel besser wohnen als die Negersklaven im Schiffsraume, denen er nach Kubikzollen zugemessen wird. Dann verläuft sich die Fluth, das Flußbett des Bades wird ganz leer und die sieben

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Rellstab: Empfindsame Reisen: Nebst einem Anhang von Reise-Berichten, Skizzen, Episteln, Satiren, Elegien, Jeremiaden, usw., Band 2. Brockhaus, Leipzig 1836, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rellstab_Empfindsame_Reisen_2.pdf/90&oldid=- (Version vom 1.8.2018)