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Ludwig Rellstab: Empfindsame Reisen: Nebst einem Anhang von Reise-Berichten, Skizzen, Episteln, Satiren, Elegien, Jeremiaden, usw., Band 2

(oder etliche mehr) Kissinger Spießbürger zappeln im trocknen, leeren Raume, der so öd-weitläufig wird, daß man sich darin verliert, und mir in Gedanken ungefähr so zu Muthe dabei wird, als sollte ich mein Arbeitscabinet im Straßburger Münster oder Kölner Dom haben. Das Winterelend kenne ich zwar nicht, und weiß nicht, wie es im eingeschneiten Nest aussieht, kann mir’s aber lebhaft denken. Es verhält sich zum Sommerelend wie die unterirdischen, unter dem Meere liegenden eiskalten Sumpfgefängnisse Venedigs zu den glühenden Bleikammern; bis heut hat aber noch Niemand entschieden, welche Marter die größere gewesen ist. Gewesen, denn die französische Revolution, die viele Bastillen und Marterkammern des menschlichen Geschlechts zerstört hat, zerstörte auch diese.

Vom Kissinger Sommerelende singe ich mein Lied. Schon eine Stunde zuvor war die Landstraße abscheulich, denn sie liegt im dichten Staub der rasselnden Wagen, in denen die haute volée spazieren fährt, ein Genuß, der ihr fade vorkommen würde, wäre nicht undurchdringlicher Staub und betäubendes Rasseln dabei. Ein Grauen ergreift mich, sehe ich die geschminkten Alten und die geschnürten Jungen, deren, Gebet-, Gesang- und Gesetzbuch das Modejournal ist. Es zuckt mir in der Faust, den affektirten Dandys, die vorbei reiten und den Begriff des Mannes

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Rellstab: Empfindsame Reisen: Nebst einem Anhang von Reise-Berichten, Skizzen, Episteln, Satiren, Elegien, Jeremiaden, usw., Band 2. Brockhaus, Leipzig 1836, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rellstab_Empfindsame_Reisen_2.pdf/91&oldid=- (Version vom 18.10.2019)