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den Dschungeln, lebt er bis heute und herrscht barmherzig.“

„Geh also hin, predige Buße für das ‚gestern‘ und verkünde die Auferstehung eines neuen ‚morgen‘,“ sagte Zenon halb ironisch, halb klagend.

„Ich weiß es, daß jemand erstehen und der Welt das erlösende Wort bringen sollte, ehe sie ganz im Verderben untergeht.“

„Ich sehe, dich hat das heilige Fieber des Mahatma angesteckt.“

„Scherze nicht, denn seine Klugheit war mir ein Spiegel, in dem ich zum erstenmal mich selbst in meiner ganzen ureigentlichen Nacktheit gesehen habe, mich selbst und uns alle, uns, die Herren der Welt, uns, die auserwählten und einzigen, uns dummes, vor Eitelkeit verblödetes Vieh, uns nichtswürdige Herde leichengewordener Seelen, uns Sklaven des Bösen, uns Anbeter der Übermacht und des Goldes,“ flüsterte Yoe deutlich, schnell; die glühenden, schrecklichen Worte fielen wie Blitze herab, töteten und rissen die Seele bis tief in die Tiefen des Entsetzens hinunter.

Zenon wich ein wenig zurück, von Yoes Blick getroffen, der voll schmerzerstarrter Tränen, unheimlichen Leuchtens und einer solchen Kraft des Schmerzes war, daß man fühlte, wie alles menschliche Elend in diese weiche Seele gedrungen war und mit allen Zungen um Erbarmen flehte, daß die ganze Welt sich in dieser schwachen Brust berge, dort wachse und brause wie der Orkan der Alliebe und das ewig hungrige Verlangen nach dem Guten.

Zenon wandte sich jedoch ab und stand auf.

Empfohlene Zitierweise:
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/056&oldid=- (Version vom 1.8.2018)