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„Sprich nicht, ich kann heute nicht mit dir darüber reden, ich bin so merkwürdig müde und erschöpft, daß ich leblos wie ein Stein hinsinken würde, betäubt von deinen exotischen, nebelhaften Hypothesen. Ich bin nur ein Mensch, der einzig und allein der Wirklichkeit traut, die seinen Sinnen zugänglich ist.“

„Es gibt nur eine Wirklichkeit: die Seele; außer ihr ist alles nur der Schatten, der von ihr in die Unendlichkeit fällt, – Trugbilder und Täuschung.“

„Das ist das Echo der Lehren des Mahatma Guru,“ flüsterte Zenon unwillig.

„Ich bin doch sein Schüler und Verehrer.“

„O Gott, daß doch der Mensch nie ohne Führer bestehen kann …“

„Weil er Erlöser haben muß, wenn er nicht nur Tschandala ist, menschlicher Dünger, auf dem erst vielleicht einst die heiligen Blumen des Geistes sprießen werden. Guru hat mich erlöst, ich bin aus seiner Weisheit neu geboren worden; ich war blind, – und habe das Sehen gelernt; ich war nur eine menschliche Leiche, – er hat mich von den Toten auferweckt und mich an die lotosduftenden Ufer der ewigen, einzigen Wahrheit geführt. So gehöre ich ihm also ganz und sage es dir mit Demut, voll Glücksgefühl und Stolz.“

„Wirst du ihm folgen?“ fragte Zenon und wartete voll Beben auf Yoes Antwort.

„Ja, ich werde ihn nicht mehr verlassen bis zu dem Tage, an dem ich ‚erstehen und sein‘ werde.“

„Also könntest du der Heimat und den Deinen entsagen?“

Empfohlene Zitierweise:
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/096&oldid=- (Version vom 1.8.2018)