Seite:Reymont - Der Vampir.djvu/180

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jener gleichfalls, sie schauten sich in die Augen, sie schauten lange fest in ihre tiefsten Tiefen, mit jenem Gefühl furchtsamen Staunens, mit dem der Mensch manchmal in sich selbst hineinschaut, denn es gibt nichts Furchtbareres, als bewußt in die Abgründe des eigenen Ichs hinabzugleiten.

„Und wo bin ich denn?“ Er bemerkte mit seinen ewig wachen Gedanken, daß er das ganze Zimmer gleichzeitig von zwei einander entgegengesetzten Punkten sah … Und doch empfand er sich in beiden Erscheinungen mit der gleichen Macht und Vollkommenheit.

Er schloß die Augen, um stiller und freudiger diesen wunderbaren Traum von sich selbst zu träumen, er vertiefte sich in einen nicht mehr zu beschreibenden Traum, in den Traum vom Traume.

Zuweilen kehrte er aus dem unsterblichen Lande der Sehnsucht zurück, wie ein vom einsamen Fluge im grenzenlosen Raum ermüdeter Vogel, er umkreiste das Leben und enteilte erschrocken in neue Abgründe der Träume von Träumen.

Zuweilen öffnete er die Augen, schaute sich mit einem Lächeln unsagbarer Rührung an, mit einem Lächeln übermenschlichen Glückes, und wieder träumte er die Unsterblichkeit.

Zuweilen aber kehrte er mit der ganzen Gedächtniskraft des Körpers auf die Erde zurück, er erinnerte sich an das Leben und umfing alles, und dann erhob sich jenes zweite Ich vor ihm, bewegte sich langsam und unaufhörlich in der Wohnung umher und beschäftigte sich mit etwas, was ihm nicht ganz verständlich war, mit etwas Nichtigem, sicher Irdischem, denn er

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/180&oldid=- (Version vom 1.8.2018)