Seite:Reymont - Der Vampir.djvu/186

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Er wehrte sich nicht mehr und versuchte nicht, sich seinen Bestimmungen zu entwinden, er fühlte plötzlich in den Tiefen seines Wesens, gleichsam im Urkeim seiner Seele, daß er gehorsam sein müsse, – so neigte er sich denn demütig vor dem Unbekannten und erwartete sein Urteil ohne Beben.

Er erinnerte sich jetzt an alles, auch in den kleinsten Einzelheiten, doch er wunderte sich über nichts mehr, war über nichts entsetzt, noch wollte er die ihn umgebenden Geheimnisse verstehen … Es kam ihm nicht einmal der Gedanke: Warum? Wer? Es war ihm, als wäre er in einer Schlacht gefallen und würde von den gedrängten Reihen der Kämpfenden zusammengepreßt, im Sturmschritt fortgerissen, als ginge er zusammen mit allen, als sähe und täte er etwas unbewußt, als denke er sogar automatisch; doch wenn sich die Reihen auflösten, müßte er leblos hinsinken. Er fühlte sich nur körperlich merkwürdig schwach und so gerührt, daß er, als er Betsys Briefe las, über ihre Besorgnisse in Tränen ausbrach.

„Das arme Kind!“ dachte er mitleidig, ohne zu wissen, warum er Mitleid mit ihr empfand.

Doch das dauerte nicht lange, dagegen bemächtigte sich seiner eine unerklärliche Unruhe und Erregung; er war nicht imstande, an etwas zu denken, noch sich mit etwas zu beschäftigen; er sprang alle Augenblicke auf, denn es schien ihm, daß ihn weit in der Ferne jemand rufe, daß er irgendwohin eilen müsse, etwas tun, mit jemand zusammentreffen müsse … Er erinnerte sich einer dringenden Angelegenheit und vergaß wieder alles, denn diese rufende Stimme tönte

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/186&oldid=- (Version vom 1.8.2018)