Seite:Reymont - Der Vampir.djvu/222

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ohne Furcht, ruhig wie immer, erhaben, schweigend und so tot, so gleichgültig, daß ihm wie immer die Worte eines Geständnisses auf den Lippen erstarben und seine Seele Tränen hoffnungsloser Verzweiflung erfüllten.

An diesem Abende sprachen sie kein Wort miteinander.

Er blieb über Nacht bei ihnen, denn es war unmöglich, in dem tobenden Sturm nach Hause zurückzukehren.

Und als er in seinem Zimmer war, die Kerzen gelöscht hatte und anfing darüber nachzudenken, daß er dieses Haus verlassen müsse, daß er sofort und für immer gehen müsse … da ging die Tür auf … es war jemand mit bloßen Füßen hereingekommen … und ehe er sich erheben und fragen konnte, fiel ihm jemand auf die Brust … es umarmte ihn jemand … küßte ihn mit gierigen, hungrigen Lippen … er hörte eine gedämpfte Stimme … die Stimme der Verheißung … die Stimme der Leidenschaft, der Verzückung …

Er konnte jetzt nicht mehr ruhig daran denken, er sprang ganz unbewußt von seinem Platze auf, er rang nach Luft, und ein wahnsinniges Verlangen dehnte seine Arme …

Zum Glück war der Akt zu Ende, der Vorhang fiel, der dröhnende Beifall gab ihm sofort die Besinnung wieder.

Sie gingen beide ins Foyer hinaus, denn Heinrich wollte lieber in der Loge bleiben.

„Ich weiß, woran Sie gedacht haben!“ begann sie, ohne ihn anzuschauen.

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/222&oldid=- (Version vom 1.8.2018)