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„Sie sehen wunderbar aus!“ flüsterte er.

„Weil ich in diesem Augenblick glücklich bin!“ Sie schmiegte ihren Arm an den seinen, er fühlte, wie sie bebte. – „Sprich zu mir! Ich lechze nach deiner Stimme, ich habe so viele Jahre gewartet!“ bat sie zärtlich.

„Gestatte, daß ich diesen ersten Augenblick schweigend genieße,“ sagte er gekünstelt, und ein blutloses Lächeln spielte um seinen Mund.

Sie betraten den ägyptischen Saal. Sphinxe, gewaltige Sarkophage, Götter und Statuen geheiligter Tiere, gewaltige Bruchstücke von Säulen und uralte Überreste eines vor Jahrtausenden gestorbenen Lebens standen dichtgedrängt und zahllos in der gewaltigen, etwas finsteren Galerie. Der glänzende Porphyr, die verblaßten Farben der Malereien, die geheimnisvollen Inschriften, das nicht zu enträtselnde Lächeln der Gottheiten, die mit leeren Augen in unfaßbare Fernen schauten, – das alles verbreitete ringsumher eine düstere, furchterregende Stille. Das Grauen des Geheimnisses sprach die Sprache des Schweigens. Die Ewigkeit barg sich in einem dumpfen und gleichgültigen Dauern. In den Augen der Gottheiten war Unerbittlichkeit und starre Notwendigkeit, und ihre steinerne Ruhe reizte, beunruhigte die menschliche Seele und erfüllte sie mit tragischer Furcht …

„Weswegen hast du die Heimat verlassen?“ fragte sie plötzlich.

„Deine Gleichgültigkeit hatte mich fortgetrieben. Erinnerst du dich nicht daran?“

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/232&oldid=- (Version vom 1.8.2018)