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„Von der Palladinischen Loge, von Baphomet und Daisy …“

„Oder, mit anderen Worten, von gar nichts!“ flüsterte Zenon ironisch und fuhr zu Heinrich, wo er, wie jeden Tag, mit allen plauderte, geduldig die Klagen des Kranken anhörte und mit der kleinen Wanda spielte, die leidenschaftlich an ihm hing. Dann fuhr er, wie immer, mit Ada aus, ihr die Sehenswürdigkeiten der Stadt und Umgegend zu zeigen. Es war ein stummes Abkommen zwischen ihnen, daß sie nie die Vergangenheit berührten. Sie hielten sie beide heilig. Niemals, auch nicht mit einem Worte, verriet Ada, was in ihrem Herzen vorging, was für ein Sturm in ihr tobte, welche Verzweiflung an ihr nagte, – er ahnte es nicht einmal, denn immer sah er nur ihr heiteres Gesicht und die treuen Blicke der Freundschaft. Sie eroberte ihn jedoch mit einer Geduld, die sich des endgültigen Zieles voll bewußt war, so daß er gar nicht bemerkte, wie abhängig er von ihr wurde. Sie umgarnte ihn mit so wachsamer Freundschaft, gleichsam mit mütterlich liebenden Armen, daß er es nicht einmal versuchte, sich loszumachen. Und doch liebte er sie nicht, nur begann er, sie anzubeten wie ein wunderbares Gedicht des Lebens, oder wie ein großes Kunstwerk, vor dem er sich in freudiger Stille ästhetischen Betrachtungen der eigenen Seele hingeben konnte. Er vertraute ihr alle seine Träumereien und seine literarischen Eingebungen an. Manchmal brachten sie lange Stunden in Museen zu, in künstlerische Betrachtung versunken. Er entwickelte vor ihr die Ideen seiner künftigen Werke, denn er

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/255&oldid=- (Version vom 1.8.2018)