„Also heute!“ Seine eigene Stimme kam ihm sonderbar fremd vor.
Er neigte sich zu ihr hinunter, sie strömte eine solche Glut aus, daß er zusammenzuckte und kühn nach ihren Händen suchte; er rückte immer näher heran, er versuchte sogar, sie zu umfangen, doch es wollte ihm nicht gelingen, – es war, als trenne sie fortwährend ein unermeßlicher Abgrund. Doch vielleicht träumte er nur, daß er dies tue? Er sagte etwas. Hatte er nach etwas gefragt? Und was sagte sie? Es zuckten Blitze, es dröhnte der Donner, als spräche Gott selbst. Was für ein Geheimnis kettete sie für immer aneinander? Nein, nie würde er sich dessen erinnern, niemals.
Hatte sich denn der Himmel plötzlich geöffnet, daß eine so freudige Stille sein Herz umfangen hielt. Alle Fetzen des Daseins waren von ihnen herabgeglitten, und der Strudel der Sonne riß ihre Seelen fort auf die Pfade der Ewigkeit!
Waren es ihre Lippen, von denen er diesen Wahn getrunken hatte? Waren es ihre nackten Arme, die ihn mit flammenden Fesseln umgürteten?
Es war, als wiege ihn der Tod in den sehnsüchtigen Armen des Vergessens.
Zu sein, und doch die Fesseln des Daseins nicht zu spüren! Zu fühlen, ohne zu wissen, daß man ist. Immer wieder in die Tiefen zu versinken und, von der Welt der Glückseligkeit emporgetragen, wieder aufzutauchen!
Noch einen Kuß! Noch einen Händedruck! Noch einen Blick!
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/288&oldid=- (Version vom 1.8.2018)