Marg. Kennst du mich denn nicht? mich, deine arme Mutter?
Liesch. Sagt mir doch, liebe Mutter, was die Schwester will?
Rösch. (hat indessen die Mutter genau betrachtet.) Seyd ihr da Mutter? Weint ihr? O! weint nicht – der Vater ist todt! die bösen Menschen haben ihn ertrinken lassen. (Pause.) Mutter, Mutter, wißt ihr noch vorigen Frühling da war ich noch ein kleines, kleines Mädchen – da saß ich oft mit des Pachters kleinem Willhelm am Thor – wir spielten und waren uns beyde so gut, hatten uns beyde so lieb – da sagtet ihr immer, wir wären so brave, gute Kinder, und gabt uns ein Honigbrod. Ach! das war eine schöne Zeit! Laßt mich nur recht darauf besinnen – Ja! recht! – Mein Willhelm gieng bald darauf fort und als er Abschied von mir nahm, weinte der gute Junge so bitter – „Ich komme bald wieder mein Röschen! sagt’ er, und dann sind wir ein Paar“ – war’s nicht so, Mutter.
Marg. Denke nicht immer daran, liebes Kind! Man weis ja noch nicht gewis –
Liesch. Gelt Mutter! die Schwester meint den schönen Willhelm, des Pachter Kants Sohn? Das ist doch ein recht schöner Junge! Er hat mir einmal einen Ring geschenkt; den sollt’ ich meinem Bräutigam geben, sagt’ er mir. Hört Mutter, wenn ich einmal so groß wie Rose bin, da nehm’ ich mir just so einen hübschen Jungen zum Mann, wie der Willhelm ist.
Franz Philipp Adolph Schouwärt: Die Ueberschwemmung. , Frankfurt am Mayn 1784, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schouw%C3%A4rt_%E2%80%93_Die_Ueberschwemmung_(1784).djvu/51&oldid=- (Version vom 24.10.2016)