„Es ist richtig“, sagte ich, „ich sehe deutlich, wie hier die Bäume — denn diese korallenartigen Bildungen sollen ja wohl Bäume sein — vor unseren Augen wachsen, blühen und Früchte zeitigen. Und dort scheint ein Haus gewissermaßen aus dem Boden zu wachsen.“
„Die Saponier bauen daran. In dieser Minute, während welcher wir zuschauen, beobachten wir den Erfolg von mehr als zweimonatlicher Arbeit. Die Arbeiter selbst sehen wir nicht, weil ihre Bewegungen viel zu schnell für unsere Wahrnehmungsfähigkeit verlaufen. Doch wir wollen uns bald helfen. Mittelst des Mikrogens will ich unsern Zeitsinn auf das Hunderttausendfache verfeinern. Hier, rieche noch einmal. Unsere Größe bleibt dieselbe, ich habe nur die Zeitskala verstellt.“
Onkel Wendel brachte aufs neue sein Röhrchen hervor. Ich roch, und sofort fand ich mich in einer Stadt, umgeben von zahlreichen, rege beschäftigten Gestalten, die eine entschiedene Menschenähnlichkeit besaßen. Nur schienen sie mir Alle etwas durchsichtig, was wohl von ihrem Ursprunge aus Glycerin und Seife herrühren mochte. Auch vernahmen wir ihre Stimmen, ohne daß ich jedoch ihre Sprache verstehen konnte. Die Pflanzen hatten ihre schnelle Veränderlichkeit verloren, wir waren jetzt in gleichen Wahrnehmungsverhältnissen zu ihnen wie die Saponier, oder wie wir Menschen zu den Organismen der Erde. Was uns vorher als Springbrunnenstrahlen erschienen war, erwies sich als die Blütenstengel einer schnell wachsenden hohen Grasart.
Kurd Laßwitz: Seifenblasen. Leopold Voß, Hamburg und Leipzig 1890, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Seifenblasen-Kurd_La%C3%9Fwitz-1890.djvu/14&oldid=- (Version vom 20.8.2021)