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sich zeigen, bei der Mehrung meiner Berufsgeschäfte rückt er, doch nicht so schnell, als ich wünsche, fort. Doch die Arbeit selbst ist es ja, worin die eigentliche Freude liegt, wenigstens nach meinem Gefühle. Sie wächst in dem Grade, in welchem jene sich ihrem Ende nähert, aber das fertige Werk lege ich gerne weg, und mich reizt nur der Gedanke, die Aufgabe das Nächstemal besser zu lösen.

Nach dieser Abschweifung, in der ich vieles voraus genommen habe, kehre ich wieder zu den Ereignissen in den sieben Jahren der französischen Herrschaft zurück. Meine Kränklichkeit hatte nach dem Tode der Mutter (1808) immer zugenommen; zu dem beengten Athem, der mir das Ersteigen weniger Stufen zu einer großen Last machte, und den fortwährenden stechenden Schmerzen in der Brust, gesellte sich noch eine Herzkrankheit. Der Schmerz, den ich mit nichts vergleichen konnte, als dem Gefühl, es fahre von Zeit zu Zeit ein glühender Pfeil durch das Herz, war mit beständiger Beängstigung verbunden. Manchmal brach er in ein heftiges Herzklopfen aus, das ohne äußere Veranlassung auf einmal kam und eben so mit einem Schlag endigte; einigemal hat es ununterbrochen zwanzig Stunden gedauert und mich in dem höchsten Grade der Erschöpfung verlassen; ein Gefühl, ich sey dann dem Tode sehr nah, war gewiß nicht ungegründet. Viele Nächte habe ich schlaflos, aufrecht sitzend, ohne mich zu bewegen, zugebracht und auf das Grauen des Tages gewartet, das mir immer einigen Trost zu bringen schien. Eine Wachtel, die vor dem Fenster eines Nachbars hing, hat mir ihn oft zuerst angekündigt, und noch jetzt kann ich den eigenthümlichen Schlag des Thieres nicht ganz gleichgültig anhören. Es ist unglaublich, wie viel man körperlich ertragen kann, und zwar lange Jahre hindurch, ohne doch die Freude am Leben zu verlieren. Das Gefühl der Jugend mag dabei geholfen haben, aber gänzlich fühlte ich mich durch diese Krankheit nicht niedergedrückt und in den leidlichen Stunden arbeitete ich fort, selbst mit Vergnügen. Ueber meinen Zustand täuschte ich mich nicht, und jeden Tag, den ich noch lebte, betrachtete ich als ein Geschenk Gottes; daß ich bei diesen Leiden noch ein halbes Jahr fortleben könnte, schien mir oft ganz unmöglich. Nur so lange ich zweifelhaft war und an Genesung dachte, war ich gequält und erst von dem Augenblicke ruhig, wo ich alle Hoffnung aufgab, und ich glaube, daß es im Grunde dieser Augenblick war, wo meine Beßrung anfing. Im Frühjahr 1809 reiste ich nach Halle, wo ich Gelegenheit hatte, den berühmten Reil über meine Krankheit um Rath zu fragen. Ich sehe ihn noch, wie er,

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Wilhelm Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Wilhelm_Grimm).pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)