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kein rednerischer Ueberfluß würde erreicht haben. Seine ganze äußere Erscheinung war diesem Eindrucke völlig angemessen. Ich hörte zuerst Rechtsgeschichte nach Hugo, dann Institutionen. Savigny richtete zuweilen, während der Vorlesung, Fragen an die Zuhörer, schwierigere wurden schriftlich beantwortet. Ich schrieb nach, aber was ich mit nach Haus brachte, ward durch das, was in Gedanken geblieben war, ergänzt und das Ganze überarbeitet. Wir beide erhielten die Erlaubniß Savigny zu besuchen und uns Raths bei ihm zu erholen; die Anregung, die nicht blos von seinen Vorlesungen ausgieng, die Einsicht von dem Werthe geschichtlicher Betrachtung und einer richtigen Methode bei dem Studium war ein Gewinn, den ich nicht hoch genug anschlagen kann, ja ich weiß nicht, ob ich sonst je auf einen ordentlichen Weg gekommen wäre. Für wie vieles andere hat er uns den Sinn erschlossen, und wie manches noch unbekannte Buch ward aus seiner Bibliothek nach Haus getragen! Die anmuthige Weise, mit welcher er wohl gelegentlich etwas vorlas, eine Stelle aus Wilhelm Meister, ein Lied von Göthe, ist mir noch so lebhaft in Gedanken, als habe ich ihm erst gestern zugehört. Manchmal kommt es mir vor, als sey heut zu Tage strenger Eifer für Gelehrsamkeit wohl zu finden, eine solche Richtung nach freier Ausbildung aber seltener und dem Ernste die Heiterkeit entzogen worden; oder täusche ich mich und sollte ich blos beklagen, daß die Zeit der ersten jugendlichen Anregung und der eben erwachten Theilnahme für das Geistige vorübergeht? Die Verschiedenheit von Savigny’s Vortrage hatte ich volle Gelegenheit zu bemerken, als ich in die Pandekten zu Weis kam. Sie waren gewiß nicht schlecht, aber bei aller natürlichen Lebhaftigkeit des Mannes fehlte doch das rechte, fortschreitende Interesse an der Sache, und mitunter ins Geschmacklose zu gerathen, ward ihm auch nicht schwer. Bei Erxleben, der Kirchenrecht vortrug, herrschte eine langweilige und abgelebte Zierlichkeit des Ausdrucks, die für den Inhalt entschädigen sollte. Im Frühjahr 1807 wurde ich examinirt, und wahrscheinlich hätte ich im Laufe des Jahrs eine Anstellung erhalten, wenn nicht das Vaterland von den Franzosen wäre überzogen worden.

Jener Tag des Zusammenbruchs aller bisherigen Verhältnisse wird mir immer vor Augen stehen. Ich hatte am letzten Oktober Abends die französischen Wachfeuer in der Ferne mit einiger Bangigkeit gesehen, aber daß Hessen unter fremde Herrschaft gerathen sollte, konnte ich nicht eher glauben, als bis ich am andern Morgen die französischen Regimenter bei dem alten, jetzt niedergerissenen Schlosse in vollem

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Wilhelm Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Wilhelm_Grimm).pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)