Seite:Specksche Gemäldesammlung 1827.pdf/102

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Die nun folgenden Hautreliefs waren im Tempel der Minerva in einer Höhe von 40 Fuss angebracht, und sollten, wie Ovid erzählt, zum Andenken der Gefechte der Lapithen und Centauren dienen. Sie weichen rücksichtlich ihres Kunstwerthes und ihrer Erhaltung bedeutend von einander ab.

No. 1.
Der siegreiche Centaur.

In dieser Gruppe wird der Centaur als Sieger dargestellt, und der Unterschied in Handlung und Ausdruck der zwei Figuren ist durchgängig herrlich gehalten.

Die todtenähnliche[1] Kraftlosigkeit des Lapithen, der triumphirenden Miene des Centaurs gegenüber gestellt, ist mit grosser Geschicklichkeit und Einsicht behandelt.

Die Ausdehnung des linken Armes und das Emporheben des Schweifes des Centaurs drücken Frohlocken aus; während die horizontale Lage des Lapithen, der hängende Zustand des Kopfes, die aufgerichteten Schultern, die an den Seiten ruhenden Arme, wie im Augenblicke des Verscheidens, den vollkommensten Contrast bilden. Die sinnreiche Lage der Beine, besonders des rechten, verhindert, durch die Erhöhung der Kniee, den ununterbrochenen Parallelismus, welcher sonst zwischen beiden Figuren statt finden würde.

Die Haut, welche der Centaur auf dem Arme hält, ist eine treue Nachahmung der Natur, und hat, obgleich von Marmor, ganz das Ansehen des Lebens.


No. 9.
Der Lapithe, vom Centaur fast überwunden.

Die Gestalt des Mannes ist herrlich dargestellt, und zeigt in jedem Theile viel Elasticität. Die Gesichtszüge drücken Schmerz und Unruhe aus. Der rechte Fuss ist vortrefflich, und kann als Meisterstück jenes schwierigen Theiles der Kunst, der Bildung der Extremitäten, betrachtet werden.

Das Gesicht des Centaurs drückt Zorn und Entschlossenheit aus, und der Körper ist vortrefflich gezeichnet.

Die folgenden Basreliefs befanden sich oben an dem Fries des Tempels der Minerva.

Sie stellen die heilige Opferprocession vor, welche alle fünf Jahre bei den grossen Panathenäen (ein Fest, welches zu Ehren der Minerva, Schutzgöttin der Stadt Athen, gefeiert wurde) statt fand.[2]

Man weiss nicht, ob man die Bewegungen und schönen Formen der Pferde, oder die Leichtigkeit und Anmuth der Reiter mehr bewundern soll! Es scheinen Arabische Pferde als Modelle gedient zu haben.[3] Auch nicht Ein Fehler ist in den Bewegungen der Thiere, im Schritte, Trabe oder Galoppe zu finden.


No. 29.

Der Umriss des Pferdes mitten in der Platte, ist sehr gut proportionirt. Die innere Seite des rechten Beines und Schenkels, mit den angrenzenden Theilen, sind eine treue Nachbildung der Natur. Die Beine sind herrlich ausgeführt, indem man Knochen und Sehnen wohl unterschieden findet. Die Gestaltung der Hufe stimmt so völlig mit den andern Theilen des Thieres überein, dass der eigenthümliche Charakter des Race-Pferdes dieses Landes, ursprünglich Arabischer Abstammung, durchgängig angedeutet ist.

Die Bewegung des Reiters, welcher seine Hand auf den obern Theil des Pferdekopfes legt, ist schön dargestellt. Es ist seine Absicht, das Thier auf gleiche Weise zu besänftigen, wie die Reiter heut zu Tage zu thun pflegen.


  1. Verbesserungen S. 49: lies: todtenähnliche
  2. Der grösste Theil dieser Basreliefs befindet sich im Original zu London im Museum; nur 15 Stück sind in Gyps geformt, da man sie, ohne dem Parthenon zu schaden, nicht herausnehmen konnte. Die Composition besteht grösstentheils aus Gruppen zu Pferde, Wagen, Opferstieren u. s. w., welche der Procession folgen.
  3. Die Griechen schnitten ihren Pferden gewöhnlich die Mähnen ab, wahrscheinlich um ihnen ein kriegerisches Ansehen zu geben; denn auch sie trugen Pferdehaarbüsche auf ihren Helmen.