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Wir bedienen uns deshalb des Alkohols in erster Linie als eines wertvollen Reizmittels, welches die im Körper vorhandene Energie zur Auslösung bringt, und finden dann, daß seine Verträglichkeit vom allgemein körperlichen Zustande, von der Ernährung und von der Arbeitsweise abhängt. Was dem Grobschmiede frommt, kann den Schneider umbringen. Der schlecht genährte Arme, der den Schnaps in seiner Not statt Brot nimmt, wird deshalb schwer geschädigt. Gerade daraus erkennt man, daß sozial die Abstinenz um die Hauptfrage herumgeht. Ohne das unsagbare Elend, welches der Schnaps in sittlicher und wirtschaftlicher Beziehung angerichtet hat, hätten wir keine Alkoholfrage, und es ist charakterisch, daß die Abstinenzbewegung in den früher reinen Schnapsländern Skandinavien und Amerika einsetzte; und in Skandinavien wurden die ersten großen Erfolge nur dadurch erzielt, das der Schnaps eingeschränkt wurde unter Einführung leichter Biere. Bei uns wird dagegen jetzt ganz besonders gegen das Bier gekämpft, trotzdem dieses als Reiz- und Erfrischungsmittel, ebenso wie der Wein, gegenüber dem Branntwein unverkennbare Vorzüge besitzt. Daß auch der Biersäufer ein Säufer ist, hat damit nichts zu tun. Gegenüber den 30 bis 60 Prozent Alkohol im Branntwein enthält das leichte Bier 3 bis 4 Prozent und vielfach selbst darunter, es enthält daneben auch wirkliche und wertvolle Nährstoffe, die nicht übersehen werden dürfen. Nun beachtet man auch bei starken Biertrinkern anatomische Veränderungen ihrer Organe, Leber- und Nierenschrumpfung, Herzerweiterung und Verfettung, Gefäßerstarrungen. Alle diese Veränderungen kommen auch, ohne Bier und Alkoholmißbrauch, bei Mäßigen und Abstinenten vor. Selbst das Bierherz ist keine „innere Angelegenheit“ der bayerischen Biertrinker und kein „Reservatrecht“ der Alkoholiker. Aber diese Veränderungen kommen mehr bei starken Trinkern vor, sodas der Alkohol bei vorhandener Anlage in Uebermaß schädlich wirkem kann. Die Anlage muß aber vorhanden sein, und deren Besitz hat mit dem Alkohol nichts zu tun. Selbst die Entdecker des Bierherzens, die die Professoren Bollinger und Bauer in München und Professor Strümpell sprechen sich gegen Abstinenz und für mäßigen Alkoholgenuß aus.

Nur selten findet man Abstinente, die konsequent sind. Es wurde schon einmal eine vierfache Abstinenz gefordert, neuerdings sogar eine absolute. Es fehlt nur noch die sexuelle Abstinenz (nachdem das Keinkindersystem in Amerika schon

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Oskar Kilian: Sport und Abstinenz. Deutscher Radfahrer-Bund Gau 20 Berlin, Berlin 1907, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Sport_und_Abstinenz_(Oskar_Kilian,_1907).pdf/2&oldid=- (Version vom 7.1.2019)