Sport und Abstinenz

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Textdaten
Autor: Oskar Kilian
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Titel: Sport und Abstinenz
Untertitel:
aus: aus: Rund um Berlin : Festschrift und Programm zur achten Fernfahrt am 28. Juli 1907, S. 66-72, ZLB.
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1907
Erscheinungsdatum: 1907
Verlag: Deutscher Radfahrer-Bund Gau 20 Berlin
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: pdf bei Commons, digitalisiertes Gesamtwerk: ZLB Berlin
Kurzbeschreibung: kurze Abhandlung zu Genussmitteln im Sport
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[1]
Sport und Abstinenz
Oskar Kilian.

Wenn die Zeit der Wanderfahrten und der Schnelligkeitswettbewerbe heranrückt, vergeht nicht nicht eine Woche, ohne daß den Leuten, die auf diese oder jene Weise sich sportlich betätigen wollen, allerlei gute Ratschläge gegeben werden, wie und was sie essen und trinken bzw. was sie nicht essen und trinken sollen. So gut das alles gemeint sein mag, eins ist sicher: wer nach den gegebenen „praktisch Winken“ seine Wanderfahrt richtet, hat auf dieser wenig Vergnügen und wer seine Rennvorbereitungen nach den „weisen Trainingsregeln“ trifft – wir haben hier nicht den Berufsrennfahrer im Auge – lebt in mönchischer Askese. Beides aber ist ein gewaltiger Unsinn. Eigene langjährige Erfahrungen auf weiten Wanderungen und im Wettbewerb haben uns bestätigt, daß der gänzliche Verzicht auf gewohnte Reizmittel dem Menschen mehr schadet als nützt. Und wir stehen mit dieser Meinung nicht allein. Professor Dr. Hueppe hat in einem bemerkenswerten Vortrage über „Abstinenz und Alkoholismus“ ausgeführt, daß immer und überall die Menschen sich zur Nahrung Reizmittel zu verschaffen wußten, unter denen die alkoholischen Getränke eine der ersten Stellen einnehmen. Weiter aber zeigte der Gelehrte, daß die Begriffe Nahrungstoff und Gift nur relativen Wert haben. Gibt es doch sogar giftiges Eiweiß, und Eiweiß ist bekanntlich das Idealnahrungsmittel. Bei der Gewinnung von Kraft und Energie unseres Körpers arbeiten dessen Zellen wie Akkumulatoren, die rechtzeitig geladen werden müssen, geladen aber auch von der sofortigen und ständigen Zufuhr von Energie abhängig sind! Unsere Maschine ist keine Dampfmaschine, sondern eine chemische Kraftmaschine, und deren Energie muß auch richtig ausgelöst werden. In diesem Sinne nun kann auf Grund einwandfreier Versuche als sicher festgestellt gelten, daß Alkohol für andere kohlenstoffhaltige Mittel, wie Zucker oder Fett, energetisch gleichwertig eintreten und Eiweiß sparen kann, daß er also in gewissen Grenzen ein Nahrungstoff ist. Aber als Nahrungstoff selbst ist er zu teuer und mit Nebenwirkungen ausgestattet, die wir nicht wünschen.

[2] Wir bedienen uns deshalb des Alkohols in erster Linie als eines wertvollen Reizmittels, welches die im Körper vorhandene Energie zur Auslösung bringt, und finden dann, daß seine Verträglichkeit vom allgemein körperlichen Zustande, von der Ernährung und von der Arbeitsweise abhängt. Was dem Grobschmiede frommt, kann den Schneider umbringen. Der schlecht genährte Arme, der den Schnaps in seiner Not statt Brot nimmt, wird deshalb schwer geschädigt. Gerade daraus erkennt man, daß sozial die Abstinenz um die Hauptfrage herumgeht. Ohne das unsagbare Elend, welches der Schnaps in sittlicher und wirtschaftlicher Beziehung angerichtet hat, hätten wir keine Alkoholfrage, und es ist charakterisch, daß die Abstinenzbewegung in den früher reinen Schnapsländern Skandinavien und Amerika einsetzte; und in Skandinavien wurden die ersten großen Erfolge nur dadurch erzielt, das der Schnaps eingeschränkt wurde unter Einführung leichter Biere. Bei uns wird dagegen jetzt ganz besonders gegen das Bier gekämpft, trotzdem dieses als Reiz- und Erfrischungsmittel, ebenso wie der Wein, gegenüber dem Branntwein unverkennbare Vorzüge besitzt. Daß auch der Biersäufer ein Säufer ist, hat damit nichts zu tun. Gegenüber den 30 bis 60 Prozent Alkohol im Branntwein enthält das leichte Bier 3 bis 4 Prozent und vielfach selbst darunter, es enthält daneben auch wirkliche und wertvolle Nährstoffe, die nicht übersehen werden dürfen. Nun beachtet man auch bei starken Biertrinkern anatomische Veränderungen ihrer Organe, Leber- und Nierenschrumpfung, Herzerweiterung und Verfettung, Gefäßerstarrungen. Alle diese Veränderungen kommen auch, ohne Bier und Alkoholmißbrauch, bei Mäßigen und Abstinenten vor. Selbst das Bierherz ist keine „innere Angelegenheit“ der bayerischen Biertrinker und kein „Reservatrecht“ der Alkoholiker. Aber diese Veränderungen kommen mehr bei starken Trinkern vor, sodas der Alkohol bei vorhandener Anlage in Uebermaß schädlich wirkem kann. Die Anlage muß aber vorhanden sein, und deren Besitz hat mit dem Alkohol nichts zu tun. Selbst die Entdecker des Bierherzens, die die Professoren Bollinger und Bauer in München und Professor Strümpell sprechen sich gegen Abstinenz und für mäßigen Alkoholgenuß aus.

Nur selten findet man Abstinente, die konsequent sind. Es wurde schon einmal eine vierfache Abstinenz gefordert, neuerdings sogar eine absolute. Es fehlt nur noch die sexuelle Abstinenz (nachdem das Keinkindersystem in Amerika schon [3] teilweise vorhanden ist), und die Abstinenten gehen an ihrem eigen Unsinn ein. Die Mehrzahl der derzeitigen Abstinenten verlangt Ersatzgetränke, um alkoholfreie Trinkunsitten durchführen zu können, nur dem – Wasser stehen sie sehr skeptisch gegenüber. Die vorhandenen Ersatzgetränke genügen aber den Bedürfnissen nicht und sind viel zu teuer oder im Geschmack unbefriedigend; nikotinfreie Zigarren und alkoholfreies Bier bedürfen nur noch einer Ergänzung durch eiweißfreies Fleisch. Viel abstinenter Unfug wird verständlich, wenn man erwägt, daß ruinierte Schlemmer und früher Unmäßige oder Kranke abstinent werden mußten und dann die größten Schreier sind.

Der Zwang zu Reizmitteln ist in der Kultur so fest begründet, daß sie nie zu beseitigen sind, und gute, reine alkoholische Getränke, wie leichtes Bier und leichter Wein, werden stets ihre volkswirtschaftliche Bedeutung als Genuß- und Erfrischungmittel behalten. Der Mißbrauch ist ein Grund gegen vernünftigen Gebrauch, und das Nachäffen ist doch nicht die einzige Triebfeder im Handeln des Erwachsenen. Die Abstinenz als taktisches Kampfmittel ist diskutiertbar, hat aber mit dem wüsten Geschrei der fanatischen Astinenten auch nur den Namen gemeinsam. Die Abstinenz ist auch Askese, und diese hat mehr geschadet als genützt, weil sie wohl Schwache vor dem Straucheln bewahrte, aber Charaktere nicht festigte. Deshalb steht sittlich die Mäßigkeit, die Selbstbeherrschung höher; die Sophrosyne galt den Weisen immer als eine Kardinaltugend. Praktisch sehr nützlich ist es, zeitweilig Reizmittel ganz auszusetzen, um sich nicht zu ihren Sklaven zu machen, und nichts ist so geeignet dazu wie der rege Betrieb von Körperübungen und ein richtiges vier- bis sechswöchiges Training im Sport. Zur rechten Zeit und am rechten Orte schadet aber auch dem eifrigen Sportmann ein Glas Bier oder Wein nicht.

Der Alkohol wird als Mittel der Entartung stark überschätzt, denn alle die Verbrechen und Geisteskrankheiten, die man bei Alkoholikern findet, kommen in kaum geringerem Maße auch ohne Alkoholismus vor. Infolge besonderer Keimmmischungen und deren Vererbung sind in der Kultur viele minderwertige Anlagen vorhanden. Diese werden vererbt, und auf solche Minderwertige wirkt Alkohol auslösend. Vater und Sohn leiden an derselben minderwertigen Anlage und werden deshalb Verbrecher, Alkoholiker, Geisteskranke. Gerade in [4] solchen Fällen läßt sich fast stets nachweisen, daß der Alkoholismus nicht die Ursache, sondern die Folge oder ein Symtom einer minderwertigen Anlage, einer Abart oder anderweitigen Entartung ist. So schwer der Alkohol dem Individuum schaden kann, und so bedenkliche Folgen dies von Fall zu Fall hat, so wenig ist bewiesen, daß der Alkohol in mäßigen Gaben die Keimorgane schädigt und zur Entartung führt. Die Nordvölker müßten sonst längst eine Gesellschaft von Trotteln und Krüppeln sein, während sie doch körperlich, geistig und sittlich an der Spitze stehen und die Welt beherrschen, während die abstinenten mohammedanischen Völker körperlich viel weniger leisten, kulturell weit zurückgeblieben und wirtschaftlich ganz herauntergekommen sind. Für den Erwachsenen, der im harten Daseinskampfe steht, ist ein mäßiger Gebrauch guter alkoholischer Getränke ein wertvolles Genußmittel. Der Kampf gegen den Alkoholismus, das heißt den Mißbrauch des Alkohols, ist aussichtsreich und kann alle um das Volkswohl Besorgten einigen, aber nicht der Kampf gegen den Alkohol, sondern der Kampf gegen den Alkoholismus und den führt der Sport!





Allerlei aus der Satteltasche.

Wer am heftigsten über das Motorradfahren schimpft, wird der eifrigste Benzinfex, wenn er zu einem Töff-Töff kommt.

Rad, Auto und Verstand sind nicht zum Stillstehen geschaffen.

Motorfahren ist keine Verstandssache und doch kann man sich dabei den Kopf zerbrechen.

Aus der fahrenden Habe wird ein liegendes Gut, wenn der Motorfahrer mit seinem Fahrzeug gestürzt ist.

Bei Rädern, Fächern, Bechern kann keiner je verknöchern.