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Ruisdael war jedoch viel zu sehr Maler, als daß er in diesem Punkte consequent geblieben wäre. Er war noch keinen Tag unterweges und befand sich bereits mitten in den gedankenreichsten Studien über die Schönheiten der Landschaften an seinem Wege. Stundenlang mußte sein Roß stillstehen: der Reiter beobachtete den Effect, welchen ein einsamer, dunkler Paßweg hervorbrachte; oder er suchte die richtigste Weise, um einen vom herbstlichen Winde durchbrauseten Wald mit seiner melancholischen Bewegung aufzufassen.

Am Abende des zweiten Tages hatte Ruisdael, der große „Landschaftdichter“, wie ihn Vater Goethe nennt, sich so sehr in seine Studien vertieft, daß er keinen Gedanken an die ferne Herberge übrig behielt, wohin sein stampfendes Roß so sehnlich verlangte.

Er befand sich mitten im Walde. Die Nacht war eingebrochen; es fing sanft an zu regnen. Vor ihm breitete sich ein mit Gebüsch und einigen riesigen Eichen versehenes, ringsum von starrenden Tannen umgebenes tiefes Thal aus; das Licht des vom Regen verschleierten Mondes schwamm um die triefenden Bäume . . . Allenthalben tiefste Ruhe; man hörte fast jeden Tropfen auf die Blätter der Bäume fallen.

Der Maler schien sich von dem Anblicke dieser Waldesstelle nicht losreißen zu können. Hier war fast nichts von den Eigenschaften, in welche man die Schönheit einer Landschaft gewöhnlich zu setzen pflegt. Wenig, fast nichts war hier zu sehen. Ruisdael schüttelte den Kopf.

– Wo liegt nur der maßlose Reiz, rief er endlich aus, den diese Landschaft auf mich ausübt? Könnte ich das Geheimniß ergründen, durch ein Bild einen Eindruck hervorzurufen, wie ihn diese regnerische Waldesnacht auf mich ausübt – wahrlich, kein Maler in der Welt käme Jacques Ruisdael, dem Landschafter, gleich . . .

Seine Betrachtung, sein Entzücken ward ziemlich rauh unterbrochen.

– Was schreit Ihr denn hier so spät? fragte eine rauhe Stimme, und Ruisdael sah mit einigem Erschrecken dicht neben seinem Pferde einen starken Mann stehen, welcher auf sehr bezeichnende Weise seine lange Flinte anlegte.

– Gebt Euer Geld! befahl der Fremde.

Ruisdael zog sein Faustrohr und feuerte es auf den Räuber ab; der Mann griff nach seinem Kopfe und sprang mit einem Fluche vorwärts. Der Maler fühlte sich am Beine ergriffen und vom Pferde geworfen.

– Du stirbst! rief der Fremde wild.

– Schone mich! Du erhältst fünfhundert, tausend, zweitausend Gulden! kreischte der Besiegte.

Der Waldbewohner stutzte, ließ aber seinen Feind nicht los.

– Bist Du denn ein Fürst oder ein Graf, daß Du solche Summen bieten kannst? fragte er endlich sinnend.

– Ich bin ein Maler; mein Fürstenthum liegt in dieser rechten Hand und bei Gott, zerbrichst Du sie mir, wie es gleich geschehen sein wird, wenn Du nicht loslässest: so bin ich arm wie Du.

Der Mann ließ los und stellte sich dem Ruisdael mit dem Gewehr im Anschlage gegenüber.

– Du willst sagen, daß Du so viel für Deine Bilder erhältst?

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/298&oldid=- (Version vom 1.8.2018)