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durch künstlerische Anordnung das Interesse des Beschauers zu fesseln. Rembrandt’s gänzliche Abwendung vom Idealen in der Zeichnung seiner Köpfe und Figuren, der unverkennbar holländische Typus seiner Gestalten stehen im eigenthümlichen Contraste zu den Ideen, welche er in seinen historischen Gemälden zur Erscheinung zu bringen strebt.

Glänzender aber als auf seinen, wenige Figuren enthaltenden Stücken zeigt sich bei seinen größeren Gemälden die merkwürdige, unvergleichliche Kunst Rembrandt’s in der Beleuchtung und Färbung. Ueber den Reizen seines Helldunkels vergißt man fast die Alltäglichkeit der Physiognomie, die selten tadelfreie Zeichnung seiner Gestalten, welche indeß immer voll Leben und ausdrucksvoller Bewegung sind.

Eines derjenigen Bilder, welches diesen sonderbaren Genius in seinen ganzen Eigenthümlichkeiten zeigt, ist das Fest des Ahasverus. Der Stoff ist ein biblischer und dem Buche Esther, namentlich dem zweiten Cap. desselben, Vers 17. 18., entnommen. Ahasverus, welcher seinen Fürsten und Reichswürdenträgern ein prunkendes Mahl und Feste bereitete, die hundert und achtzig Tage währten, fühlte sich von der Weigerung seiner Königin, am Tische der Männer neben ihm zu erscheinen, so empört, daß er die Königin verstieß. Die schönsten Jungfrauen von Persien und Medien wurden auf seinen Befehl ihm darauf zugeführt, um aus den Mädchen eine neue Sultanin zu erwählen. Dies Glück traf die schöne Esther, eine Tochter des unterdrückten jüdischen Volkes, welches zu Susa und im ganzen Königreiche in der Sklaverei schmachtete.

Rembrandt’s Bild stellt das Fest vor, welches Ahasverus veranstaltete, um den Großen seines Reichs die neue Königin im vollen Glanze ihrer Würde vorzuführen. Sie thront, mit der Krone und mit reichem Schmucke versehen, neben dem mit Blumen bekränzten Herrscher an der Spitze der Tafel und ringsum zeigen sich an den Theilnehmern des Festes bereits die beseligenden Kräfte des kredenzten Weins. Ein Paar im Vordergrunde, auf schwellende Divans gelagert, küßt sich; gegenüber am Tische sucht ein Mann seiner Nachbarin, einer verschämten, jungen Frau, in einem goldenen Becher die Gabe des Bacchus mit Gewalt einzuflößen. Außer einem alten Weibe im Vordergrunde, welches das Tischtuch emporhebt, um – echt holländisch und Rembrandtisch zugleich – dessen Feinheit und Muster mit verächtlichem Auge zu prüfen, ist die linke Partie des Bildes unwichtig. Mehr interessirt ein silberner, blumenumgebener Tafelaufsatz vor der „schönen“ Königin, die, wie eine holländische Dorfbraut, mit über der Taille aufgelegten Händen und aufgelöstem Haar gleich einer sehr dicken Christmarktspuppe dasitzt.

Dieser Tafelaufsatz ist ebenfalls von holländischer Erfindung; in der Mitte desselben steht eine Art von Gefäß, wahrscheinlich den Mundbecher des Königs vorstellend; eine Form, welche einem gewundenen, oben und unten abgeschnittenen dicken Rebenstamme gleich sehen kann. Ahasverus selbst liegt halb auf seinem „goldbelegten, auf Marmorsäulen stehenden“ Throne und zwar auf goldgestickten Teppichen. Sein aufgelöstes, blumengeschmücktes Haar erinnert an den Schmuck Nero’s bei seinen Orgien in Bajae. Hinter dem Throne des Königs schließt sich eine ausdrucksvolle, aber deßhalb doch sehr schwer zu erklärende Gruppe zusammen. Der König zieht seinen Ring vom Finger und sagt einem alten, aufmerksam zuhörenden Weibe hinter dem Throne etwas sehr Wichtiges: denn ein Kämmerling – wahrscheinlich nach seinem verschmitzten,

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/450&oldid=- (Version vom 1.8.2018)