Seite:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie.pdf/867

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Vor ihm dehnte sich das wellenförmige Terrain ununterbrochen aus. Die Straße zeigte sich in dem Halbdunkel wie ein weißliches, breites Band. Rechts war sumpfiges, ebenes Land, nur stellenweise durch kleine Gebüsche und Baumpartien unterbrochen. Links, auf die Weite eines guten Musketenschusses standen einzelne Eichen, die Vorposten des weiten, großen Waldes, welcher sich unmittelbar hinter denselben dicht und finster zeigte, und auf dem sich terrassenartig erhebenden Boden bis zu dem Schnitte eines langen niedrigen Hügels erstreckte, indeß er auf diese Weise den südlichen Horizont begränzte. Ringsum herrschte die lautlose Stille einer öden unbewohnten Gegend. Kein Dorf, keine Bauerngehöfte, selbst keine Hütte war zu sehen.

Die Dame hielt dicht neben dem Herrn und reichte ihm matt ihre, mit einem Perlenhandschuhe bekleidete Rechte. Er führte die Hand mit Inbrunst an seine Lippen.

– O, Daniel! flüsterte die schöne Dame. Nicht wahr Geliebter, auch Du giebst die Hoffnung auf, daß wir entkommen werden? O, warum bin ich so schwach . . . Ich glaube, ich werde ohnmächtig; es ist mir dunkel vor den Augen; ich habe nur noch ein traumartiges Bewußtsein; ich muß unwillkürlich die Augen schließen und dann sehe ich und höre unwirkliche Dinge . . . Engel und Tänzer und Jäger und Musik und Glockenläuten . . .

Sie neigte sich, indeß ihre Stimme erstarb, auf den Hals ihres Rosses. Der junge Mann umfing sie, faßte sie mit kräftigen Armen und zog sie vor sich auf seinen Gelbfuchs. Er sagte kein Wort, sondern blickte mit der unbeschreiblichsten Wehmuth in das blasse Gesicht des Mädchens, welches an seinem Busen ruhte.

– Sie stirbt! murmelte er, nach einer langen Pause. Und wie geschüttelt von diesem, furchtbaren Gedanken, schrie er im Augenblicke drauf: Theresia! Theresia!

– Ich träumte! stammelte sie, indeß sie aufblickte und sich auf dem Rosse und in den Armen ihres Geliebten fand. Diese Nähe aber schien ihr neue Kräfte zu geben. Sie setzte sich bequem und lehnte ihren Kopf an seine Schulter, indeß sie mit aus dem Herzen quellender, innerster Befriedigung sagte; – O! Daniel! Das war’s, was mir fehlte . . . Hier, ja hier ist mein Platz, mein Herz und meine Heimath!

Herrliche, göttliche Jugend! dieser eine Moment genügte, dem Muth und der Kraft und der Hoffnung beider Menschen eine neue Spannkraft zu geben. Und als wenn das Glück oder der Liebenden Schutzengel sie begünstigte, so hörten beide mit ebensoviel Entzücken als Erstaunen das helle, klare Läuten eines Glöckleins, welches aus dem Walde hervordrang und bezeugte, daß für die Erschöpften eine Ruhestatt in nächster Nähe winkte.

Die Liebenden sagten nichts. Sie sahen sich nur mit dem glücklichsten Blicke an. Dieser Blick sprach: Hörst Du! Hörst Du! Und wir konnten so kleinmüthig verzweifeln? –

Daniel nahm den Schimmel an die Hand, bog von der Straße ab und schlug einen Fußpfad nach dem Walde ein. Das Läuten dauerte fort und bestimmte ihm die Richtung. Im Walde angelangt, erhob sich der Boden und wurde hügelig und uneben; eine roh gebahnte Straße führte durch dicht verschlungenes Gebüsch nach einem steil aufsteigenden Hügel. Kaum konnten die Rosse noch vorwärts. Als sie aber das Dickicht verließen, bot sich den Liebenden ein ebenso eigenthümlicher als ergreifender Anblick dar.

Sie befanden sich auf der Platteform des erklommenen Hügels und sahen eine Eremitage vor sich, ein kleines steinernes Gebäude, eine Art von Kapelle, mit einem Glockenhäuschen drüber,

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/867&oldid=- (Version vom 1.8.2018)