Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen | |
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Johann Carl Dähnert war „nach der alten und neuen Pommerschen und Rügischen Mundart“ zusammengestellt und sollte etwas wie ein gemein-pommerisches Platt, ohne örtliche Färbung der Mundarten, darstellen. Reimers unberufene Thätigkeit läßt sich jetzt von uns genauer kontrollieren und bestimmen. Abweichungen, innerhalb der oben gegebenen Proben, wie: Tid, bidden, daar, Water, Höner, Aanten, Dische als Plural entsprechen den Aufstellungen Dähnerts in seinem Wörterbuche. Hingegen die Veränderung des Rungeschen „to Grunde“, das auch nach Dähnert zu recht besteht, in „to Grun’n“ fällt allein Reimer zur Last; ebenso „Bedeenters“, ein Wort, das bei Dähnert überhaupt nicht begegnet. Dähnert bietet für „werden“ als zwei mögliche Formen „waren“ und „warden“, seine Beispiele enthalten jedoch nur die Form „waren“: Runges Form „waren“ ist aber stets von Reimer durch „warden“ ersetzt worden. Dagegen „eenen langen Strichen Bloot“ bei Büsching mag wirklich ein auf Schrift beruhender Irrtum für „Stripen“ sein, was Reimer einsetzte. Das wäre denn auch die einzige Verbesserung, die durch Reimer in die Überlieferung gekommen wäre. Alles übrige ist Trübung der ursprünglich reineren Lautgestalt des Märchens. Die Mundart in der Grimmschen Sammlung hat also nimmer existiert.
Derselben Behandlung unterwarf Reimer auch den Machandelboom. Z. B. Eerde, Bleujte, söwende ist nach Dähnert, begroof von Reimer. Das Märchen steht in Grimms Sammlung auf den Seiten 203–217, nimmt also ungefähr einen Bogen ein. Reimer hatte von dem früheren Abdruck in Arnims Einsiedlerzeitung keine hinderliche Ahnung. Aber als die Texte ausgedruckt waren, kamen die wissenschaftlich-litterarischen Nachweisungen des Anhangs an die Reihe. Jetzt geriet Reimer ins Gedränge. „Ich bin genöthigt,“ schrieb er am 1. Dezember 1812, „meinem am vorigen Posttage an Sie erlassenen Brief diesen sogleich folgen zu lassen, lieber Grimm, weil mir bei der Correctur der Anmerkungen die die Erzählung vom Machandelboom betreffende ein großes Bedenken gemacht hat. Es steht nemlich daselbst: es sei diese wörtlich nach mündlicher Mittheilung Runges abgedruckt, um damit die eigenthümliche Behandlung des Plattdeutschen darin zu rechtfertigen. Ich der ich diese Absicht nicht zuvor kannte, habe mich um so mehr berechtigt gehalten, die Aenderung nach denselben
Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen. Georg Westermann, Braunschweig 1907, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Entstehungsgeschichte_Maerchen_Sagen_Grimm.djvu/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)