Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen | |
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geblieben waren. Nehmt ihr wol zu den geschichtlichen die des Michael Kohlhaas, die mir recht merkwürdig scheint, z. B. daß sein Körper noch drei Tage, als Zeichen der Unschuld, geblutet habe und a. m. viel davon in Haftiz märk. Chron. von 1540; jetzt wäre es auch wol recht, wenn ihr das Buch über Sagen-Poesie herausgäbet, da es fast nothwendig zu den Sagen gehört, und Vielen lieb sein würde.“ Die Sage vom Michael Kohlhaas, die seine Brüder aber nicht aufnahmen, weist auf Ferdinand Grimms damalige Neigung und Vorliebe für Heinrich von Kleists Werke, wie ich sie in meinem Buche „Neue Kunde von Heinrich von Kleist“ dargestellt habe.
Ein halbes Jahr lang ist nun zwischen den Brüdern von den Deutschen Sagen keine Rede. Die Ostermesse kam und ging vorüber. Als die Nicolaische Buchhandlung den Absatz übersehen konnte, wandte sie sich mit folgendem Schreiben an „Herrn Bibliothekar Grimm“ in Kassel:
Ew. Wohlgeboren
haben mir erlaubt, meinen Entschluß wegen Annahme und Druck einer Fortsetzung der Sagen bis zum Schluß der Leipziger Messe unausgesprochen zu lassen. Ich sehe mich iezt genöthigt das Unternehmen mit diesem ersten Bande zu begränzen. Das Buch ist nicht eigendlich schlecht gegangen, aber doch nicht so, daß ich auf meine Kosten gekommen wäre. Wenn ich auch dahin nach und nach gelange, so ist dieß für den Kaufmann nicht Aufmunterung genug. Leider sind bey unserm Handel so viele Mißbräuche eingeschlichen, an die das kaufende Publikum seinen Theil nimmt, daß man fast nur kaufmännisch denken und iede lieberale Gesinnung unterdrücken muß. Von Vorliebe für ein Werk ist fast nicht die Rede mehr, diese muß ganz schweigen. Und ich kann sagen, daß ich Ihre Sagen mit wahrer Liebe gedruckt und gelesen habe. Auch an Anzeigen habe ich es nicht fehlen lassen, die zum Theil auch ihre Wirkung nicht verfehlten. Aber in Wahrheit, iezt ist fast keine Frage mehr danach und in der ganzen Messe, die ich selbst besorgt, ist nur 1 Exemplar verlangt.
Wenn Ew. Wohlgeboren meine Erklärung unangenehm seyn sollte, so trage ich dieß Gefühl als Mittheiler gewiß auch. Nichtsweniger bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihr Vertrauen und schätze es mir zur Ehre mit Ihnen in Verbindung gekommen zu seyn.
Mit größter Hochachtung bin ich Ew. Wohlgeboren
ganz ergeb.
Nicolaische Buchhandlung. |
Unerkennbar bei der Lückenhaftigkeit des Materials ist es, wie es trotz dieser motivierten Ablehnung dennoch binnen kurzem
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)