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Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen

war ein Edler des Landes, Uffo sein Name, in das gelobte Land gezogen. Viele Jahre blieb er dort, und kämpfte gegen die Saracenen. Sein kinderloses Weib, Hilburg, das ihn für todt hielt, baute zum Heil seiner Seele, auf ihres Beichtigers Folkhards Rath, acht Kirchen, und stiftete das Kloster Möllenbeck, bei welchem sich die neunte Kirche erhob. Uffo kehrte nach Verlauf mehrerer Jahre zur Heimath zurück. Auf dem Rückwege träumte ihm, sein Weib habe während seiner Abwesenheit neun Kinder geboren. Erschrocken wachte er auf, und unruhig beschleunigte er seine Reise. Er kam an, und siehe! seine Hilburg eilte ihm froh entgegen. „Trauter! sei mir willkommen!“ rief sie ihm zu, „wie lange ließest Du mich allein! Aber ich blieb nicht allein. Ich gebar Dir neun Töchter, und sie alle sind Gott geweiht“. Uffo erkannte in des Weibes offenem Blicke ihre Unschuld. Vertrauensvoll und ohne weitere Frage rief er: „Weib, Deine Kinder sind auch die Meinen! Ich will sie ausstatten.““ Aus der Sage sind einige Sätze fast wörtlich genommen, der Anfang aber viel mehr aus folgender (Miszellen für die Neueste Weltkunde Nr. 11 vom 6. Februar 1811): „In der Klosterkirche zu Möllenbeck an der Weser findet sich das hölzerne Bild der heiligen Frau von Uffo, die ihren Gemahl, als er vom Kreuzzuge nach Palästina wieder zurückkehrte, mit der Nachricht überraschte, sie habe ihm während seiner Abwesenheit neun Kinder geboren. Darunter verstand sie die in der Gegend gestifteten neuen [lies: neun] Kirchen, die noch bis jetzt ihre Einkünfte der frommen Stiftung dieser milden Frau zu danken haben. Der Künstler, der ihr Bildniß in Holz verfertigte, gab ihr das gewöhnliche Madonnen-Gesicht. Statt des Kindes aber legte er ihr eine hölzerne Kirche in den Arm, die sie mit stiller Zärtlichkeit wie ihren Säugling an die Brust drückt. Man muß die Kirchenstifterin lieb gewinnen, wenn man dieses Bild betrachtet, worin die Vorstellung von der Einfalt und Güte jener Zeiten sich durch so viele Jahrhunderte erhalten hat.“ Wunderlich erscheint, daß zweimal „Hildburg“ für „Hilburg“ vorkommt.

Nr. 545 (Sage von Irminfried usw.). Im zweiten Absatze, gegen das Ende, steht: „Irminfried … floh mit den übriggebliebenen Leuten in seine Stadt Schiding, am Flusse Unstrot gelegen“. Da die Urstelle (in Rohtes thüringischer Chronik bei Menken, Sp. 1646) bietet: „Yrmenfrid der floch yn Schidingin, das uf der vnstrud lid“, so ergibt sich „Unstrot“ bei Grimms als ein irgendwie entstandener Irrtum, der zu beseitigen war.

Nr. 546 (Das Jagen im fremden Walde). Die Sage folgt Banges thüringischer Chronik Bl. 43. 44. namentlich am Schlusse gestatteten sich Grimms mit dem Urtext größere Freiheit, um

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/51&oldid=- (Version vom 1.8.2018)