Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen | |
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Jacob zuschreibe, die Anwendung von einfachen Verben, selbst da, wo die Urstelle, unserem heutigen Gefühl viel näher, zusammengesetzte Verba verwendet. Gleich im Anfang von Nr. 551 hat Bange: die Ritter „versamleten sich“. Bei Grimms steht: „sammleten sich“, wenigstens habe ich so geschrieben, während der erste Druck freilich „sammneten sich“ bietet. Der niederdeutsche Text Rohtes (bei Menken Sp. 1684) hat allerdings: sy besammentin sich, aber wie gesagt, nicht Rothe, sondern Bange ist Grimms Quelle. Kurz darauf heißt es in der Grimmschen Sage: „Nun wollte ich zwar euer Untreu wohl lohnen“, wo die Quellstelle, Bange Bl. 61, wieder das Kompositum „belohnen“ gewährt.
Nr. 554 (Wie es um Ludwigs Seele geschaffen war). Hier tritt auch sehr auffällig, schon in der Titelfassung „geschaffen“, aber auch im Texte das Simplex ein. Bei Bange Bl. 65 lesen wir: „Es ist vnser Freund, dem habe ich geschworen, das ich jhn nicht verletzen wolle, sondern das ich jhm deß Eisern Landtgraffen Seel zeige“; bei Grimms aber steht: „daß ich ihn nicht letze“, und „zeige“ ist ohne sichtbaren Zwangsgrund durch „weise“ ersetzt. Ganz einfach sagt Bange: „Der Pfaff sprach, ich wil es gerne thun, auff daß dich der Junge Fürst desto besser halte“; bei Grimms: „auf daß euch der neue Herr desto gütlicher handle“; „handle“, für das auch zu Grimms Zeit „behandle“ schon das gewöhnliche war, mehr aus gelehrter Reminiszenz aus der älteren Sprache hergenommen. Als der Pfaffe am Orte der Pein, wo auch Ludwigs Seele weilt, angelangt ist: „Zuhand“, erzählt die Grimmsche Sage, „da wandte der Teufel einen eisernen glühenden Deckel ab von einer Grube, da er aufsaß; und hatte eine ehrne Posaune, die steckte er in die Grube, und blies darein usw.“; bei Bange aber, dem sonst wörtlich gefolgt wird, steht nur: „vnd hatte eine Ertzin Posaune, damit blies er in die Gruben“. Es kann kein Zweifel sein, daß der Zusatz „die steckte er in die Grube“ nicht glücklich ist. Ludwigs Seele, die aus der Grube erscheint, wünscht, daß seine Kinder den Gotteshäusern usw. ihr Gut wiedergäben, das er ihnen wider Recht mit Gewalt abgenommen habe; und demgemäß sagt dann auch Bange weiter: „Aber es war wenig nütze, dann sie wolten die Güter nicht wider zu Rück geben“. Hier nun steht jedoch in der Grimmschen Sage: „aber es ward seiner Seele wenig Nutzen, denn sie wollten das Gut nicht wiederkehren“. „wiederkehren“ respondiert nun gar nicht mehr mit dem vorhergehenden „wiedergeben“ und ist auch an sich wenig bequem. Trotzdem mochte ich, nach den übrigen aufgewiesenen Eigenmächtigkeiten, „wiederkehren“ nicht in „wiedergeben“ abändern.
Nr. 558 (Heinrich das Kind von Brabant). Es sind viele
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)