Juden waren und zwar in einem das Bevölkerungverhältniß übersteigendem Maße, wird zugestanden.“ Die Neigung zum Handwerk schwindet immer mehr und selbst die Jugend in den Volksschulen und Waisenhäusern wirft sich jetzt fast lediglich auf die Kaufmannschaft. Viele Verfolgungen des Mittelalters – wird mit einem gewissen Durchbruch des Wahrheitsgefühls zugestanden – hatten darin ihren Grund, daß Fürsten, Adel und Bürger einigen Juden verschuldet waren und jene sich davon frei zu machen suchten, indem sie die sämmtlichen Juden wenigstens aus ihren Kreisen ausrotten.“ Sogar mahnt man, „dass die Fluth des Judenhasses um so schneller verschwinden werde, je mehr die Juden aus dem Erlernten ernste Lehren ziehen und immer mehr auf solidem Grunde zu arbeiten und auszubauen sich bestreben werden.“
Die Frage ist nur: was soll geschehen? Wir meinen, Juden und Christen müssen daran arbeiten, daß sie in das rechte Verhältniß zu einander kommen. Einen anderen Weg giebt es nicht. Schon beginnt hie und da ein Haß gegen die Juden aufzulodern, der dem Evangelium widerstrebt. Fährt das moderne Judenthum wie bisher fort, die Capitalskraft wie die Macht der Presse zum Ruin der Nation zu verwenden, so ist eine Katastrophe zuletzt unausbleiblich. Israel muß den Anspruch aufgeben, der Herr Deutschlands werden zu wollen. Es entsage der Anmaßung, daß das Judenthum die Religion der Zukunft sein werde, da dasselbe doch so ganz die der Vergangenheit ist. Möchten thörichte Christen nicht fortfahren, das Volk in seinem Dünkel zu bestärken. Die jüdische Orthodoxie mit ihrer Beschneidung ist verlebt, das Reformjudenthum ist gar keine jüdische Religion. Wenn Israel dies erkannt hat, wird es seine vorgebliche Mission hübsch bei Seite lassen und aufhören, den Völkern, die ihm Gast- und Bürgerrecht gewähren, das Christenthum rauben zu wollen. Die jüdische Presse muß toleranter werden, das ist die erste Bedingung besserer Verhälnisse. Die socialen Uebelstände, welche das Judenthum mit sich bringt, müssen auf dem Wege einer weisen Gesetzgebung geheilt werden. Es wird nicht leicht sein, dem jüdischen Capital
Adolf Stoecker: Das moderne Judenthum in Deutschland (Erste Rede). Wiegandt und Grieben, Berlin 1880, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stoecker_Zwei_Reden.djvu/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)