aus den Tempeln der Musen, aus dem Paradiese seiner Berufsneigung rissen, um es einem Lebensberuf zu opfern, der Gemüth und Geist verödet, brach liegen zu lassen zwingt? Nein, solche Thorheiten muß man Juden nicht zumuthen! Solche geistige Morde zu vollbringen, lassen sich Juden von Ihnen, Herr Stöcker, nicht verleiten! Das wäre Verbrechen an Vaterland und Menschengeschlecht; ihm die besten Kräfte zu entziehen, wäre nicht zu sühnen.“
Man beachte wohl, daß der sonderbare Schwärmer nicht von begabten Juden redet, gegen deren Studium selbstverständlich Niemand etwas einwenden könnte, sondern von dem ganzen Volke, dessen Weltmission es nicht gestatte, seine Mitglieder der Handarbeit zuzuführen, welche den Geist veröde ja morde. Die Christen sind also gut genug, den Juden die Schuhe zu flicken; die Juden sind dazu zu edel. Nur vergißt der naive Jüngling, oder wahrscheinlich weiß er es nicht, daß nur wir Deutsche einfältig genug sind, die Juden diese Rolle spielen zu lassen und unsere Nation aus kosmopolitischem Enthusiasmus für die Emancipation der Juden zu ruiniren. In Rußland und Polen, sowie in den deutschen Ostseeprovinzen, die ich aus eigener Anschauung kenne, sind viele Juden Handwerker; – von der geträumten Weltmission sieht man ihnen wahrlich nichts an.
Warum kann es in Deutschland, in Berlin nicht ähnlich sein? Es ist doch wahrlich kein Frevel, zu wünschen, die Juden möchten, so weit es ihre körperliche Beschaffenheit erlaubt, dieselbe Arbeit thun, wie ein Deutscher, möchten Schneider und Schuhmacher, Fabrikarbeiter und Diener, Mägde und Arbeiterinnen werden. Ihre Zahl ist in Berlin zu groß, als daß sie sich von der groben Arbeit fernhalten könnten. Sonst kommt es dahin, daß sie je länger, je mehr Arbeitgeber werden, dagegen die Christen in ihrem Dienste arbeiten und von ihnen ausgebeutet werden; ein Zustand, der unserer nationalen wie geistigen Stellung nicht würdig ist. Heutzutage ist Geld Macht. Ich gönne den Israeliten jedes Maß von redlich erworbenem Reichthum, aber ich finde ihren Einfluß auf unser öffentliches Leben unberechtigt. Sie
Adolf Stoecker: Das moderne Judenthum in Deutschland. Wiegandt und Grieben, Berlin 1880, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stoecker_Zwei_Reden.djvu/36&oldid=- (Version vom 18.8.2016)