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Sticht einen Pegel ab, versucht die Kalte-Schaal,
Ein halber Gülden macht ihm doch kein Capital.
Indem er also sizt, bedencket er mit Lachen,
Wie oft das große Gut den Reichen arm kan machen.
Je mehr dem Geitzigen trägt sein Vermögen ein,
Je mehr muß er bescharrt und wohl behungert seyn.
So oft er einmal trinckt, so muß er überschlagen,
Ob seine Zinse auch die Kosten mag ertragen.
Der Hauptstuhl ist sein Gott, den tastet er nicht an,
Greift lieber hinter sich, als nach der vollen Kann.
Hergegen mein Poet sagt, daß der Sonntags-Braten
Und sein Gerichtlein Fisch nicht übel mag gerathen,
Singt seinem lieben GOtt so freudig, als er mag,
Der weiter für ihn sorgt und für den andern Tag.
Zuweilen sitzet er, hält der Vernunft entgegen
Die Laster seiner Zeit, die irgend sich erregen,
Schont aller Menschen zwar, doch keiner Thorheit nicht.
Und ob sein Urtheil selbst ihm ins Gewissen spricht;
So schweigt er mit Gedult, beseufzt die bösen Thaten.
So kan die Wahrheit ihm zum höchsten Heil gerathen.
Ist dieser Eßig scharf; er ist dennoch gesund
Und beist das faule Fleisch heraus bis auf den Grund.
Gleichwie Machaon brennt und heilt mit klugen Händen;
So mag auch ein Poet zwar strafen, doch nicht schänden.
Und wer denn solchen Mann zu den Verläumdern schreibt,
Der wisse daß ihn selbst der Ertz-Verläumder treibt.
Es ist Poeten Werck mit fremden Namen spielen
Und also mit Gelimpf auf wahre Laster zielen.
Nimmt aber Jemand selbst sich solcher Laster an,
Wer ist in aller Welt der solches ändern kan?
Hat Jemand Codrus Art, der mag den Namen erben.
Wer Hirßen-Pfriemer heist, mag Hirßen-Pfriemer sterben.
Wenn beym Horatius also geschrieben steht:
Gorgon stinckt wie ein Bock, Rufin reucht nach Ziebet!

Empfohlene Zitierweise:
Joachim Rachel: Teutsche Satyrische Gedichte. Christian Ludewig Kunst, Berlin 1743, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Teutsche_satyrische_Gedichte_Wolfenbuettel.djvu/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)