keine Märchen geschickt. Ich habe dich oft bei deiner Mutter verklagt; sie sagt dann immer, du habest jetzt mehr zu thun, als solche Kindereien. Ich glaub’ es aber nicht; es ist wohl anders.
Nun las Reinhardt auch den Brief seiner Mutter, und als er beide Briefe gelesen und langsam wieder zusammengefaltet und weggelegt hatte, überfiel ihn unerbittliches Heimweh. Er ging eine Zeit lang in seinem Zimmer auf und nieder; er sprach leise und dann halbverständlich zu sich selbst:
Er wäre fast verirret
Und wußte nicht hinaus;
Da stand das Kind am Wege
Und winkte ihm nach Haus!
Dann trat er an sein Pult, nahm einiges Geld heraus, und ging wieder auf die Straße hinab. — Hier war es mittlerweile stiller geworden; die Weihnachtsbäume waren ausgebrannt, die Umzüge der Kinder hatten aufgehört. Der Wind fegte durch die einsamen Straßen; Alte und Junge saßen in ihren Häusern familienweise zusammen; der zweite Abschnitt des Weihnachtabends hatte begonnen. —
Als Reinhardt in die Nähe des Rathskellers kam, hörte er aus der Tiefe herauf Geigenstrich und den Gesang des Zittermädchens; nun klingelte unten die Kellerthür,
Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/73&oldid=- (Version vom 1.8.2018)