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dem Herrn des Amtes und mit dem Werk des Amtes immer unlöslicher verbinden.“

 Wir haben’s doch gut, daß wir zu Dettelsau gehören, wo uns je und je das Geborgensein unter dem Amt in aller Not und Drangsal solch eine Hilfe war.

 Bitte, grüße alle Schwestern. In herzlicher mütterlicher Liebe

Deine Therese.


An ihre Schwester Ida.
Neuendettelsau, 31. Dez. 1892

 Meine Lieben, wir durften so fröhlich feiern – Ihr doch auch? Ich meine, es dürfte jetzt kommen, was da wollte, ich wollte doch nicht verzagen. Das schöne Weihnachtswetter hat auch ein wenig zu der Feststimmung beigetragen. Auch heute fließen warme, freundliche Sonnenstrahlen durchs Fenster, an dem ein ganzer Blumenflor steht: duftende Hyazinthen und Primeln und eine schöne Camelie. – So weit schrieb ich neulich, und nun ist es Neujahrsmorgen geworden, und ich grüße Euch aus treuem Herzen zu Anfang des Jahres 1893. Seit dem Leiden und Tod unseres lieben seligen Herrn Rektors ist mir’s öfters so zumute, als käme Schweres, um uns zu befähigen, noch Schwereres zu tragen. Aber ich fürchte mich jetzt nicht. „Laß nur dein Antlitz mit uns gehen.“ Dann ist schon alles gut. Es geht ja doch zum Sieg und zur Vollendung, und Gott hält uns alle Seine Verheißungen. Ja, wir sind sehr reich, wenn wir uns an seine wunderbaren Verheißungen halten.

 ...An meinem Geburtstag hatten mir die Schwestern eine große Überraschung zugedacht. Ich wurde nach der Morgenandacht die Treppe heruntergeführt. Da waren am Eingang des Hauses ganz heimlich die Schränke weggeschafft worden, und ein großes Kruzifix hing an der Wand, und eine schöne Lampe brannte in der Mitte, und unter dem Kruzifix hing auf Gold gemalt der alte Vers, in dem Jesus Christus die Türe zum Leben genannt ist. Am Abend wurde Herr Rektor zu einem guten alten Fräulein in unserem Pfleghaus gerufen, und ich hatte an meinem Geburtstag den großen Trost, Zeuge von einem Sterben sein zu dürfen, das kein Sterben war. Das gute Fräulein schlief, nachdem Herr Rektor sie eingesegnet hatte, so sanft ein, als gings nur, wie einmal jemand vom Sterben gesagt, zu einer anderen Türe hinein. –

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/104&oldid=- (Version vom 14.8.2016)